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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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des Palastes trennten. Dieser wurde von zwei mächtigen Kerzen eingerahmt, zwei riesigen, mindestens eineinhalb Meter hohen weißen Vasen, die zur Hälfte mit einer ölartigen, fischig riechenden Flüssigkeit angefüllt waren, in die ein langer, zu einer Spirale gewickelter Docht getaucht war. Damit dürfte die Beleuchtung für eine Weile gesichert sein . . .
    Sam ging mit angehaltenem Atem durch die Tür und betrat das Gebäude. Eine Art Vestibül, von einem grünen und einem gelben Drachen flankiert, ging über in einen Vorraum: mit roten Stoffen bespannte Wände, davor rund um den Raum aufgereihte niedrige Sitze. Linkerhand führte ein Treppenabsatz hinunter zu einem tiefer gelegenen Raum, wo sich eine beeindruckende Ansammlung von Krügen und Körben auf Regalen teilweise bis unter die Decke stapelte. Neugierig lüftete Samuel den ein oder anderen Deckel: Getreidekörner, getrocknete Früchte, Bier . Wie in Ägypten versüßte man dem Verblichenen seine Reise ins Jenseits mit reichlich irdischer Nahrung!
    Im nächsten Raum war eine große kreisförmige Fläche mit gelbem Sand abgestreut, in deren Mitte zwei Statuen, mit einfachem Lendenschurz bekleidete Kämpfer, einander mit angespannten Muskeln gegenüberstanden. Ein dritter stand außerhalb des Kreises und hob den Finger, als wolle er sie zum Kampf einladen – oder wollte er den Kampf unterbrechen? Eine Art Sporthalle, vermutete Sam. Aus diesem weißen, unmöblierten Trainingsraum folgte er einer Holztreppe hinauf zu einer Terrasse. Auch diese war hell erleuchtet und überragte zugleich den Innenhof und den Garten. Sie führte zu einem Pavillon, um den herum eine überdachte Galerie verlief, von der eine Unzahl leuchtend bunter Bänder herabhingen, wie zu einem Fest oder Empfang. Im Inneren sah es so aus, als wäre ein feierliches Bankett in vollem Gange: drei gigantische Tische waren dort angerichtet, als müssten sie jeden Augenblick unter der Last des Geschirrs und den Unmengen von Gefäßen zusammenbrechen. Tiere aus Ton bildeten die verschiedenen Gänge eines opulenten Menüs: Schwäne, Enten, Schweine. Dazu mehrere Statuen von Gästen, die sich gerade von den Platten bedienten oder ein Glas an die Lippen hielten. Es sah aus, als hätte ein Fluch die feiernde Gesellschaft beim Festmahl in der Bewegung erstarren lassen. Man musste nur den richtigen Zauberspruch kennen, um sie wieder zum Leben zu erwecken . . .
    »Okay, Jungs«, rief Sam in die über allem lastende Totenstille hinein, »eure Geschichte von Fallen und Festessen ist ja schön und gut, aber wie komme ich hier wieder weg?« Er suchte die Räumlichkeiten bis in den letzten Winkel ab, ohne etwas zu finden, das auch nur entfernt nach einem Sonnenstein aussah. Enttäuscht ging er zurück zur Terrasse. Von dort aus folgte er einem kleinen Übergang, der zu einem zweiten, dem vorherigen sehr ähnlichen rot-weißen Pavillon führte, nur ohne die farbigen Bänder. Auch die Atmosphäre war hier wesentlich nüchterner: ein fast leerer Raum, dessen Mitte von einer einzelnen, mindestens zwei Meter hohen Statue beherrscht wurde. Auch sie unterschied sich wesentlich von den anderen, die er vorher gesehen hatte: die Figur eines Mannes im reifen Alter mit langem schwarzem Bart und straff nach hinten gekämmten Haaren, dessen Gesichtszüge und Blick unverkennbar majestätisch wirkten.
    Vor allem trug er im Gegensatz zu den Festgästen von vorher sehr reale Kleidung: einen leuchtend gelben, langärmeligen Mantel, vorn geschlossen mit einer grünlich schillernden Schürze, die mit verschlungenen Pflanzenmotiven bestickt war. Des Weiteren trug er eine erstaunliche Kopfbedeckung in Form einer kleinen eckigen Platte, von der feine Perlenschnüre herabhingen und einen Teil seines Gesichtes verdeckten. Wahrscheinlich der letzte Schrei der Mode um 210 v. Chr. . . . An ihrer Seite trug die Figur ein versilbertes Schwert und sie streckte die rechte Hand in einer herrschaftlichen Geste nach vorn, als wollte sie die ganze Welt unter ihren Willen zwingen.
    Kaiser Qin, kein Zweifel . . .
    Die Wände um ihn herum waren von düsterem Schwarz, aufgehellt nur von einer Reihe weißer Banner, auf denen große rote Zeichen prangten: Han ist besiegt worden, Zhao ist besiegt worden, Yan ist besiegt worden, Wei ist besiegt worden und so weiter ... Sam zählte mindestens ein halbes Dutzend solcher Banner, die an die herausragendsten Siege des Eroberers erinnerten. Zu ihren Füßen erhob sich jeweils immer die gleiche graue Stele mit

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