Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
Vom Netzwerk:
halten. »Er hat mir nichts davon gesagt . . .«
    »Er?«, stieß Sam hervor.
    »Er, ja . . . Er hat mir versprochen, dass jemand kommen würde. Allerdings konnte er mir nicht sagen, wann. Und vor allem nicht, wer. Auf jeden Fall, hat er dabei sicher nicht an ein Kind gedacht.«
    Seine Stimmbänder klangen, als wollten sie jeden Moment reißen. Seit wie vielen Jahren hatte er wohl schon nicht mehr gesprochen?
    »Sie sind also nicht...«, stotterte Sam. »Ich meine, als ich das erste Mal hier war, sahen Sie aus, als wären Sie . . .«
    Qin gab etwas von sich, das wohl ein lautes Lachen sein sollte, obwohl es eher klang wie das Knarren einer alten Tür.
    »Tot, meinst du das? Auf eine gewisse Art bin ich es wohl . Zumindest für die, die mich begraben haben. Vor wie vielen Jahren war es noch gleich? Hundert? Zweihundert? Dreihundert? Ich weiß es nicht mehr . . . Aber wenn es dich beruhigt, ich werde es bald wieder sein. So ist der Lauf der Dinge.«
    »Ich . . . ich verstehe kein Wort«, gestand Sam verwirrt.
    »Hol mir erst mal etwas Wasser«, befahl Qin anstelle einer Antwort. »Ich bin durstig. Dann werde ich dir alles erklären. Geh jetzt«, drängte er, als er sah, dass Sam immer noch stocksteif dastand. »Hinten ist ein Brunnen. Mein Grab befindet sich oberhalb der Drei Quellen, es ist das reinste Wasser in der Region Xi'an. Deine Instrumente Kannst du hierlassen, ich habe nicht vor, sie dir zu stehlen.«
    Samuel gehorchte. Er legte Hammer und Meißel auf einem der Sessel mit den geschwungenen Armlehnen ab und machte sich auf den Weg. Der Brunnen lag nur ein paar Schritte entfernt, mithilfe einer Kurbel konnte man einen Kleinen Keramikeimer hinunterlassen oder heraufziehen. Samuel drehte erst in die eine, dann in die andere Richtung, dann schnupperte er an dem Wasser, das er aus der Tiefe geholt hatte: Es war klar und roch überhaupt nicht moderig. Er nahm einen Schluck davon, denn auch er fühlte sich auf einmal wie ausgetrocknet. Dann goss er den Rest in einen der Tonkrüge vor dem Brunnenrand. Zurück im Tempel reichte er das Gefäß dem Kaiser, der mittlerweile auf der Kante seines Lagers saß. Qin nahm ihm den Krug ohne ein Wort des Dankes aus den Händen und leerte ihn in gierigen Schlucken, mit laut schnalzender Zunge, bis zum letzten Tropfen.
    »Ah!«, rief er, schon mit festerer Stimme, aus. »Trinken, das ist es, was mir am meisten fehlt... Und du . ..«, fuhr er fort und hob mahnend den Finger, »musst lernen, dass man sich verbeugt, bevor man den Kaiser bedient. Nur weil du aus ich weiß nicht welchem barbarischen Winkel dieser Welt kommst, heißt das noch lange nicht, dass du die Bräuche mit Füßen treten musst. . . Und hör auf, mich so dümmlich anzustarren, ich habe nicht so lange ausgeharrt, um mich einem jungen Narren gegenüber wiederzufinden, der mich anglotzt wie ein staunender Fisch. Jetzt setz dich und unterbrich mich nicht. Ich mag dir vielleicht alt und welk erscheinen, doch wisse, dass dieser Arm, der einst ganze Königreiche im Kampf besiegte, dir immer noch den Hintern versohlen könnte . . .«
    Drohend hob er seinen großen schwarzen, mit Goldfäden umwickelten Stock und Sam fand es diplomatischer, sich ihm – zumindest dem Anschein nach – zu unterwerfen. Unter dem milchigen, zufriedenen Blick des Alten nahm er auf einem der Sessel Platz.
    »Gut, so ist es schon viel besser«, lobte dieser. »Zuerst solltest du gewisse Dinge zu meiner Person wissen. Hör gut zu, denn du wirst der Letzte sein, dem ich das erzähle, und ich will nicht, dass es verloren geht... Deinem groben Benehmen nach zu urteilen, kannst du es offensichtlich nicht ermessen, aber du hast die unschätzbare Ehre, dem berühmten Qin Shihuangdi, dem ersten Kaiser von China, gegenüberzusitzen.«
    Er machte eine Kunstpause, um die Wirkung seiner Worte auszukosten, die Sam mit stummer Bewunderung entgegennahm.
    »Wie es dort in der Inschrift an der Wand heißt, bin ich derjenige, den der Himmel dazu ausersehen hat, das mächtigste und beständigste Königreich, das es je auf dieser Erde gegeben hat und geben wird, zu errichten. Zu diesem Ziele und damit es die Jahrhunderte überdauert, habe ich es mit einer soliden Währung ausgestattet, mit unumstößlichen Gesetzen, mit einer neuen Schrift und einfachen Einheiten zum Rechnen und Wiegen . . . Außerdem habe ich tausend Straßen und tausend Kanäle bauen lassen, und um sie zu schützen, habe ich eine große Mauer errichten lassen, wie man sie noch nie gesehen hat...

Weitere Kostenlose Bücher