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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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der Inschrift: Dies hat Qin Shihuangdi vollbracht – dies hat der erste und erhabene Kaiser Qin vollbracht. . . Eins war sicher, an mangelndem Selbstbewusstsein hatte der Kerl ganz sicher nicht gelitten!
    Sam setzte seinen Weg fort und fand gegenüber dem Pavillon eine Treppe in das darunterliegende Stockwerk und dann eine weitere Bronzetür, die sich zum hinteren Teil des Palastes öffnete.
    Er stieß einen erstaunten Schrei aus.
    Er kam sich vor, als würde er einen verzauberten Feenpark betreten, über den sich ein schwarzer, sternenübersäter Himmel wölbte. Ein Puzzle geschickt ineinandergreifender Inseln, untereinander durch wunderliche Brücken verbunden, die sich über einen silbrigen Fluss spannten. Riesige Lichtvasen beleuchteten jede der Inselchen, die mit schattenrissartigen Bäumen und Statuen bevölkert waren, in ihrer Mitte ein geschwungener Tempel, dessen Pagodendach die ganze Anlage beherrschte. Am anderen Ufer dieses seltsamen Sees endete das Himmelsgewölbe vor einem Berg zusammengestürzter Felsbrocken, als hätte ein Erdbeben alle Wege zurück zur Welt der Lebenden verschüttet.
    Samuel ging die von Moos und Kieseln gesäumte Allee hinunter zum Ufer des Sees. Er tauchte seinen Finger in die spiegelnde Oberfläche, und als er ihn wieder herauszog, war er mit einer silbrigen, beinahe metallischen Substanz überzogen: Quecksilber . . . Ein See aus Quecksilber! Er kam auf die erste Insel, die symbolisch von zwei Tonkriegern bewacht wurde, mit verschränkten Armen und dem Schwert in der Scheide. Der von zwei weißen Pferden gezogene Bronzewagen hinter ihnen schien soeben den Kaiser zu seinem Abendspaziergang abgesetzt zu haben. Ein paar Schritte weiter erwartete ihn eine Gruppe Musikanten. Ihnen folgten mehrere Bedienstete, die zu seinem Empfang bereitstanden, einige in tiefer Verbeugung, andere überreichten ihm feinste Tücher, bis an den Rand gefüllte Obstkörbe oder Weinbecher. Dahinter gabelte sich der Weg, einer führte weiter zu einer Insel mit Tierfiguren, der zweite auf den eleganten Pagodenbau zu.
    Sam entschied sich für Letzteren, überquerte die Brücke und trat in den Turm mit durchbrochenen Wänden, dessen erste Stufen von zwei Steindrachen verteidigt wurden. Im Inneren gab es einen einzigen Raum, in dem Kaiser Qin auf einem ausladenden weißen Bett ruhte, das von vier Seiten mit Perlenvorhängen geschützt wurde. Samuel wahrte einen respektvollen Abstand. Der alte Mann lag ganz gerade, in ein buntes seidenes Totengewand gehüllt, einen langen schwarzen Gehstock an seiner Seite. Unter dem dichten grauen Bart waren seine Züge nur schwer zu erkennen – man hätte die Perlenvorhänge beiseite schieben müssen, um besser zu sehen -, doch Sam erschienen seine Stirn und die Wangen stark eingefallen, als wäre das Gesicht im Laufe der Zeit eingetrocknet – oder hatte der Körper eine spezielle Behandlung zur Konservierung erhalten, obwohl er so lebensecht schien?
    Abgesehen von den rundherum vor den Wänden aufgereihten Bronzestühlen bestand der einzige bescheidene Schmuck des Raumes aus einem Schriftzug auf einem weißen Banner: Ich habe mit drei Armeen über dieses Reich geherrscht: Krieger, um zu erobern, Arbeiter, um zu bauen Beamte, um zu verwalten. Darunter hingen drei Paare symbolischer Gegenstände: Pfeil und Schwert, die sich kreuzten; daneben ein Hammer und ein dicker Meißel, ein Pinsel und eine Schreibtafel aus Bambusholz. Seltsam berührt von dieser Szenerie zog Sam sich leise auf Zehenspitzen zurück – die kriegerischen Tonfiguren waren ihm dann doch lieber.
    Er setzte seine Besichtigung auf der anderen Seite der Insel fort, wo er hinter einer kleinen Steinmauer zu seiner Überraschung eine ganze Welt im Kleinformat entdeckte, die sich über die benachbarten Inseln erstreckte: Entlang des Quecksilberflusses waren im Miniaturformat drei komplette Städte nachgebaut, mit Stadtmauern, Straßen, Wohnhäusern, Parks . . . Staunend spazierte Sam auf den verschlungenen Wegen an den Gebäuden vorbei, die ihm knapp bis zur Hüfte reichten, und kam sich vor wie Gulliver, der durch ein schlafendes Lilliput irrt. Es gab die unterschiedlichsten Häuser, bis in jede Einzelheit detailgetreu nachgebildet: Marktstände und Geschäfte voller Waren; Ställe, in denen Pferde tänzelten; geöffnete Fenster, durch die man in das komplett möblierte Innere der Häuser sehen konnte; Brunnen, Wachtürme, ein prächtiger Palast in der Mitte . . . Qin hatte die Städte seines Reiches nachbauen

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