Der magische Reiter reiter1
feuchten Flecken Sumpfmoos gleiten. Sie war zu erschöpft, um auch nur den pitschnassen Mantel abzulegen.
Als sie einschlief, wünschte sie sich, wieder ganz zu sein – und nicht mehr durchsichtig wie ein lebendiges Gespenst.
DER GRAUE
Die aufgehende Sonne verbarg sich hinter dem hohen Wall. Man konnte hinauf und weiter hinauf blicken und sogar noch höher hinauf, ohne jemals wirklich den oberen Rand zu sehen. Das war natürlich Magie. Wo der echte Granit aufhörte, setzte ein magischer Schirm die Illusion eines aufragenden Walls nahtlos fort. Die D’Yer hatten den Wall so gebaut, dass er den Anschein erweckte, noch über den Himmel hinaus und sogar in die Gefilde jenseits davon zu reichen. Es gab fliegende Geschöpfe, welche die Sacorider und die Liga lieber auf der anderen Seite verwahrt wissen wollten.
Der Riss, den der Graue erzeugt hatte, hatte sich spinnennetzartig bis zu den Fugen des Mörtels ausgebreitet und einen Abschnitt des Walls von der ungefähren Größe einer Tür geschwächt. Das überstieg seine Erwartungen enorm – dass die Risse sich weiter als nur einige Zentimeter ausgebreitet hatten. Der Durchbruch würde rascher erfolgen, als er jemals zu hoffen gewagt hätte.
Zeit. Die Zeit hatte den Zauber brüchig und den Mörtel verwundbar gemacht. Ohne die Berührung eines Magiers, um den Wall aufrechtzuerhalten, war er schwächer geworden. Nun schimmerten sogar schon silberne Runen auf den Granitblöcken im Umfeld der Risse. Bei den Runen handelte
es sich um alte sacoridische und kmaernische Schriftzeichen. Es waren warnende Runen; sie warnten vor den Rissen, vor einer Schwächung des Walls. Sie ließen erkennen, dass die Zaubergesänge ihre Wirkung verloren und aus dem Takt geraten waren. Niemand würde das herausfinden, bis es zu spät sein würde. Es war jetzt schon zu spät. Die D’Yer hatten seit Jahrhunderten keine Patrouillen mehr auf den Weg geschickt, und selbst wenn sie von den Rissen erführen, wüssten sie nicht, was sie dagegen unternehmen sollten. Sie würden einen Gelehrten aufsuchen müssen, der die Runen entziffern konnte, und das müsste schon ein hochgelehrter Meister sein. Die Sprache von Kmaern war mitsamt dem Volk untergegangen, seit Jahrhunderten aus dem Wortschatz der Lebenden verbannt.
Selbst wenn die D’Yer die Runen übersetzen konnten, so verstanden sie sich doch nicht mehr darauf, den Wall wiederaufzubauen. Wie so vieles andere hatten sie auch diese Fähigkeit verloren. Die Pläne des Grauen wurden durch nichts gefährdet.
Er spreizte die Finger auf dem kalten Wall. Es prickelte, allerdings weniger heftig als zuvor. Er führte seine Gedanken durch die Schultern, die Arme hinunter und aus den Fingerspitzen hinaus. Sein Bewusstsein breitete sich wie die Risse auf dem Wall aus, und er spürte, dass der Widerhall seines Gesangs noch immer in Fels und Mörtel sein zerstörerisches Werk verrichtete.
Die alten Stimmen waren schwankend geworden und der Rhythmus schwächer. Mit etwas Glück würde sein Gesang sich von selbst über die gesamte Länge des Walls ausbreiten und den Zauber, der ihn zusammenhielt, auflösen. Mit der Zeit würde der Wall einstürzen, und die Macht von Kanmorhan
Vane würde sich ungehindert über die Länder ausbreiten. Der Graue bekäme nicht nur Zugang zu diesen gewaltigen Kräften, sondern unter der Drohung der Finsternis, die im Wald lauerte, würden sich ihm auch die Länder ergeben.
Er sah den Auflösungszauber, zersetzte in einem fort die uralten Bannsprüche, brach den Mörtel mit seinen Gedanken heraus und überzeugte den Granit davon, dass er seit Tausenden von Jahren Frost und Tau, Wind, Regen und Schnee ausgesetzt gewesen war.
Schließlich hatte er ihn genug geschwächt.
Der Graue bewegte versuchshalber seine Glieder, als er auf dem taufeuchten Gras wieder zu sich kam. Sein Körper erwies sich zuweilen als Hindernis, doch er hatte den Schock ohne Schaden überstanden. Der Gesang des Gegenzaubers hatte seinen Geist bis zum Äußersten beansprucht, und als Körper und Geist sich nach Stunden der magischen Anspannung wieder vereinigt hatten, war er zusammengebrochen. Sein Kopf dröhnte sogar noch heftiger als während seiner frühesten Ausbildung …
Es war schon Vormittag, und die Soldaten konnten es sicher gar nicht erwarten, sich endlich auf die Suche nach dem Botenpferd zu machen. Sollten sie warten. Sie würden ihr Opfer noch früh genug finden. Erst musste er das Ergebnis seiner Arbeit überprüfen.
Aus jedem Riss hatte
Weitere Kostenlose Bücher