Der magische Reiter reiter1
als wende sie sich an eine Versammlung und nicht bloß an Karigan.
Schlot? Ach ja! Karigan zählte die Kamine und kam auf neun, nicht sieben.
»Unser Vater hat es vor langer Zeit erbaut«, fuhr die Frau fort. »Komm.« Sie streckte die Hand aus. Ein feines Netzwerk aus Adern – wie Flüsse auf einer Landkarte – rankte sich um ihr dünnes Handgelenk und bedeckte den Handrücken. »Unsere Diener werden sich um deinen Freund Pferd kümmern.«
Es erschienen keine Diener, doch Pferd trottete gehorsam zum Stall. Die beiden alten Damen waren zwar ziemlich eigenartig, schienen aber keine Gefahr darzustellen, und so folgte Karigan ihnen ins Haus.
Die Böden bestanden aus hell gemaserter Eiche, und die Wände waren mit zarten Blumenmustern tapeziert. Reich bestickte Wandbehänge, Porträts von Männern und Frauen in Rüstungen und fantasievollen Kleidern und handgewebte Teppiche – alle auf wundersame Weise weder von der Zeit noch vom Sonnenlicht ausgeblichen – schmückten jeden Raum, durch den sie kamen.
Schwere Möbel mit tiefbrauner Politur waren mit feinen Schnitzarbeiten verziert, keine Oberfläche war unberührt. Ein Stuhl im Flur hatte eine Lehne, die in Form eines Baums gearbeitet war, und die Armlehnen und Beine stellten Blätter und geschwungene, gewundene Äste und Wurzeln dar. Ein rotes Samtkissen bedeckte die Sitzfläche.
Muntere Feuer loderten in jedem Feldsteinofen, an dem sie vorbeikamen, und an die Stelle von Karigans klammem Kältegefühl trat trockene Wärme.
»Letitia hat ein Bad für dich eingelassen«, sagte die Pummelige. »Sie wird nicht allzu glücklich über den Matsch sein, den du hereingeschleppt hast, doch lass dich von ihr nicht ärgern. Wenn sie sich nicht beklagen könnte, hätte sie nicht die geringste Freude am Leben. Habe ich nicht recht, Miss Bayberry?«
»Wahrhaftig. Die Matschzeit ist noch der Nagel zu ihrem Sarg und macht der Ärmsten jedes Jahr das Leben zur Hölle. Wir nehmen es jedoch mit Gleichmut hin. Es ist unmöglich, hier draußen eine gute Haushaltshilfe zu finden.« Miss Bayberry blieb vor einer Tür stehen und holte tief Luft. »Nun denn, Kind, wir werden dir nach dem Bad ein Nachtgewand und eine Robe leihen. Letitia wird dafür sorgen, dass deine Kleidung gereinigt wird.«
Sie führten sie in einen mit Steinen gefliesten Raum, in dem
ein weiteres Feuer fröhlich in einem Ofen knisterte. Ein einziges Fenster ging auf einen Garten hinaus. Sonnenlicht sickerte durch die obere Scheibe, die in den satten Tönen wilder Heidelbeeren gefärbt war und fließende Flecken aus Blau und Grün auf den Schieferboden warf.
Von einer Sitzbadewanne aus Messing in der Mitte des Raums stiegen Dampfwolken auf. So etwas war Karigan nicht gewöhnt, eher die Keramikwannen und das Leitungswasser von Selium, doch in ihrem gegenwärtigen Zustand erschien ihr ein Sitzbad wie der Himmel auf Erden.
Miss Bayberry deutete mit ihrem Stock auf den Zuber. »Lass dir Zeit, Kind. Entspanne dich – du siehst furchtbar mitgenommen aus.«
Die beiden gingen und zogen die Tür hinter sich zu. Die Stimme der Pummeligen trieb von irgendwo aus dem Flur heran: »Ich glaube, unsere Etikette hat sich mit den Jahren verbessert, liebe Schwester.«
Die andere Stimme gab ihr dumpf recht.
Karigan entkleidete sich, ließ dabei ihre Sachen einfach unordentlich auf den Boden fallen. Neben dem Zuber standen ein Eimer mit kaltem Wasser und eine Schöpfkelle. Sie schöpfte genug kaltes Wasser in das Bad, um es erträglich zu machen, doch als sie hineinstieg, war es noch immer entsetzlich heiß.
Minzezweige trieben auf dem Wasser, der Geruch beruhigte und entspannte sie. Ihr Körper passte sich der Hitze rasch an, und ihre verspannten Muskeln entkrampften sich. Bevor sie zu matt wurde, machte sie sich daran, den gesammelten Schmutz mehrerer Tage zu beseitigen. Ihre langen Haare stellten ein gewisses Problem dar, doch sie gab nicht auf, bis sie sauber und ausgespült waren.
Sie seufzte selig und döste schließlich ein. Als sie erwachte, war das Badewasser noch immer angenehm warm, und die Sonne schimmerte nach wie vor durchs Fenster. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass Stunden vergangen waren.
Ihre Kleidung war verschwunden, doch das versprochene Nachtgewand und die Robe hingen auf Haken an der Wand, und darunter hatte man ein Paar weiche Wildlederpantoffeln gestellt.
Sie denken an alles.
Als sie trocken und angezogen war, haftete der angenehme Geruch von Minze noch immer an ihrer Haut und ihrem
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