Der magische Reiter reiter1
erwache sie aus einem Traum. Sie sah den Grauen an, dann die Krone, dann schweifte ihr Blick wieder zu Amilton.
»Nein.« Ihre Stimme war so leise, dass Stevic sich anstrengen musste, um sie überhaupt zu verstehen.
»Was?« Amilton zog die Brauen zusammen, und Wut stieg wieder in ihm auf, heiß und lodernd wie die Esse eines Schmieds.
Lady Estora schob trotzig das Kinn vor und sagte mit lauter und fester Stimme: »Nein. Eher würde ich auf Euch spucken, als Euch zu krönen. Ihr werdet nie der König sein, der Euer Vater oder Euer Bruder war.«
Amiltons Faust schoss vor, und mit einem Aufschrei fiel Lady Estora auf Hände und Knie. Mirwells Leute sahen gleichgültig zu, und der Lordstatthalter grinste wie über einen heimlichen Scherz. Sie waren Monster, allesamt.
Stevic zwang sich, ruhig zu bleiben und seine Empörung und Verbitterung über Amiltons Grausamkeit im Zaum zu halten. Er konnte nichts ausrichten gegen Amilton Hillanders Magie, konnte ihn nicht aufhalten.
Als Clanoberhaupt und einer der führenden Kaufleute Sacoridiens war Stevic G’ladheon Machtlosigkeit nicht gewohnt. Er hatte Probleme stets rasch und entschlossen aus dem Weg geräumt, ob es nun darum ging, durch Taktgefühl und einige wohlgesetzte Worte eine Clansfehde zu verhindern, oder darum, eine Karawane gegen Diebe zu verteidigen. Tatenlosigkeit führte seiner Ansicht nach zur Katastrophe. Diesmal stand jedoch erheblich mehr auf dem Spiel als eine Karawane oder sogar sein eigenes Leben. Er musste sich in Zurückhaltung und Geduld üben, weil vorschnelles Handeln furchtbare Folgen haben konnte.
Doch es war ihm nicht verwehrt, Hilfe zu leisten, und so schlich er vorsichtig zu der Frau, die auf dem Boden zusammengesackt war, das Gesicht hinter einem Arm verborgen. Er kniete neben ihr nieder und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Ihre Lippe blutete, ihre zarten Züge würden blaue Flecken davontragen, doch sonst war es nicht weiter schlimm, obwohl das wahrscheinlich die schlimmste Behandlung war, die sie jemals im Leben erlitten hatte.
»Könnt Ihr aufstehen?«, wisperte er.
Seine Wertschätzung für die Frau stieg, als sie sich fasste und nickte. Nicht eine einzige Träne zeigte sich in ihren Augen, obwohl er spürte, wie ihr Körper bebte, als er ihr auf die Beine half.
Amilton nahm den Stirnreif selbst von dem Grauen entgegen und hielt ihn hoch über sich, damit alle ihn sehen konnten. »Ich bin der König!« Er schritt zwischen den feigen Adligen umher und stellte die Krone zur Schau, so dass kein Zweifel darüber aufkommen konnte.
»Es ist mein Geburtsrecht«, sagte er. »Ich wäre König geworden, wenn mein Bruder mich nicht um den Thron betrogen hätte.« Langsam setzte er sich die Krone auf. »Aeryc und Aeryon seien meine Zeugen, ich ernenne mich hiermit zum König von Sacoridien.«
Stille. Stille und Schrecken, so greifbar wie die Granitmauern, die sie umgaben.
Amilton starrte die Adligen an, was diese veranlasste, begeistert zu applaudieren.
»Ihr solltet besser auch klatschen«, flüsterte Stevic Lady Estora zu.
» Dafür … kann ich nicht Beifall spenden«, sagte sie und deutete auf Amilton.
»Es würde mir nicht gefallen, wenn er noch wütender auf Euch würde«, sagte Stevic. Widerstrebend fiel sie in das Klatschen ein.
Amilton stolzierte herum und schritt an den Adligen vorbei, um sicherzugehen, dass ein jeder ihn mit der Krone auf dem Kopf deutlich sehen konnte. Dann stieg er wieder auf das Podest und richtete sich hoch auf. »Mein lieber Lord Mirwell«, sagte er, »Ihr habt mir treu gedient. Ich gewähre Euch, wie gewünscht, die Provinzen Adolind und L’Petrie.«
Lord Nethan L’Petrie stieß einen erstickten Schrei aus. Mirwell selbst reagierte mit einem kehligen Glucksen.
»Jetzt ist das Verhängnis perfekt«, flüsterte Sevano Stevic zu.
Eine Gräueltat nach der anderen, dachte Stevic.
Amilton schien hocherfreut darüber zu sein, ein solches Geschenk gemacht zu haben. Wahrscheinlich freute es ihn sogar noch mehr, die Macht dazu zu besitzen.
»Nun, Grauer«, sagte er, »wie ich sehe, habt Ihr mir noch etwas mitgebracht. Ich hätte gern die Todesschreie meines Bruders gehört, doch Ihr habt recht getan.«
Der Graue hielt ihm den Korb entgegen, und Stille senkte sich über den Thronsaal. Lady Estora stöhnte neben Stevic auf. »Nun besteht wahrlich keine Hoffnung mehr.«
Mirwell lachte.
Amilton fuhr zu ihm herum. » Was soll das?«
»Nur zu«, sagte Mirwell. »Seht in den Korb. Der Graue hat ihn Euch
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