Der magische Stein
Namen...
***
Carlotta spürte den Druck der klammernden Hände. Sie hörte auch das keuchende Atmen und konnte sich vorstellen, was Isa auf dieser Reise empfand. Das alles nahm sie hin, denn sie musste den Verfolgern entwischen.
Und sie musste sich wahnsinnig zusammenreißen, denn sie hatte nicht eben den direkten Weg nach unten genommen – oder genauer gesagt: nicht den schnellsten. Sie glitt mit ihrer Last im Schatten der Felswand entlang in die Tiefe und ließ sich Zeit dabei.
Es war in dieser Umgebung nie ganz hell. Auch auf den Steinen hatte sie das erlebt, doch jetzt freute sich Carlotta über die Dunkelheit, die ihnen einen immer stärkeren Schutz bot.
Jetzt suchte sie eine Lücke im Laubdach der Bäume. Was sie in diesem Wald erwartete, wusste sie nicht. Da hätte sie schon eine Hellseherin sein müssen, denn sie konnte nicht bis zum Boden sehen.
Der Untergrund rückte näher. Die Schatten nahmen zu. Carlotta erlebte sie als fleckige Umgebung und hörte die heftig gestellte Frage ihres Schützlings. »Hast du die Vögel noch gesehen?«
»Nein, nicht mehr.«
»Ein Glück. Dann haben wir eine Chance?«
»Eine Chance hat man immer.«
Das Vogelmädchen hielt jetzt den Mund. Es musste sich konzentrieren. Es suchte den Wald so gut wie möglich ab, sie entdeckte auch die Lücke zwischen den Bäumen und glitt hinein.
Es ging besser als erwartet. Zwei Zweige streifte sie. Kein Ast stieß gegen ihren Körper. Nur ein leises Rascheln war zu hören, als sie einige Blätter berührten.
Kurz vor der Landung streckte das Vogelmädchen seine Beine aus und fand wenig später den weichen Kontakt. Schon bei der ersten Berührung wusste sie, dass sie auf einem natürlichen Teppich gelandet war. Bodendecker, Moos, abgestorbene Farne – sie alle bildeten dieses Gemisch, das Carlotta die nötige Sicherheit gab.
Isa rutschte von ihrer Schulter. Auch sie spürte die Festigkeit unter ihren Füßen und fühlte sich trotzdem etwas wacklig, sodass sie sich an Carlotta festhalten musste.
»Wir haben es geschafft, nicht?«, fragte sie.
»Klar.«
»Und jetzt?«
»Müssen wir weitersehen. Jedenfalls sind wir am Leben, und genau das freut mich.«
»Ja, mich auch.«
Carlotta strich sich durch das blonde Haar. Es fühlte sich verschwitzt an, und sie merkte auch, dass der Stress sich auf die Schnelligkeit ihres Herzschlags auswirkte. Sie hörte die Echos im Kopf. Mit beiden Händen fuhr sie sich übers Gesicht, um die Haut von dem öligen Schweiß zu befreien.
Erst danach atmete sie auf und lächelte Isa an. »Wir sind doch gut gewesen, nicht wahr?«
»Wir? Nein, ich nicht. Du bist gut gewesen. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich längst tot.«
»Nun ja, so...«
»Doch, doch«, beharrte Isa. »Du hast mir das Leben gerettet. Ich weiß jetzt auch, warum ich auf dem Felsen lag. Die Männer in Grau haben mich dort als Beute für die Vögel hingelegt. Sie sind nur etwas später gekommen, da war ich schon weg. Jetzt werden sie uns suchen.«
»Davon müssen wir ausgehen«, erklärte Carlotta mit ruhiger Stimme. Sie wunderte sich über sich selbst, wie gelassen sie bei all dem geblieben war. Möglicherweise lag es daran, dass sie in ihrer Vergangenheit bereits einen zu großen Schrecken erlebt hatte und dabei in Situationen geraten war, die andere Menschen nicht mal in zehn Leben durchmachten. Sie war praktisch programmiert darauf, in bestimmten Situationen nicht die Nerven zu verlieren.
»Und wo können wir uns verstecken, Carlotta? Sollen wir hier im Wald bleiben ?« Isa deutete gegen die Laubdächer und wies auch auf die Lücken. Da wird man uns immer sehen können, denke ich.«
Das Vogelmädchen ging nur indirekt auf die Bemerkung ein. »Weißt du, ob dieses Land belebt ist?«
Isa deutete ein Kopfschütteln an. »Bitte, wie meinst du das? Ich verstehe nicht.«
»Ob man hier jemand finden kann, den man nicht unbedingt als Feind ansehen muss?«
»Du meinst Menschen?«
»Wie auch immer.« Carlotta zuckte mit den Schultern. »Es müssen ja nicht nur Menschen sein. Hier ist alles möglich.«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber du hast dich mit den Druiden beschäftigt. Oder irre ich mich da ?«
»Ja, schon. Wir haben sogar versucht, ihre Sprache zu lernen. Wir wollten uns mit ihnen verbünden. Irgendwie hatten wir uns in den Kopf gesetzt, ein Leben zu führen, wie sie es getan haben. Aber das ist wohl nicht ganz gelungen.«
»Nein, wohl nicht.« Carlotta zögerte kurz. »Dann müssen wir etwas anderes versuchen.
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