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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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Baumstümpfen. Er konnte den Fluß hören, obwohl er ihn durch das Unterholz nicht sehen konnte. In dieser Jahreszeit floß er ruhig und langsam dahin und war voller Elritzen und Stichlinge. Glatte Steine ragten wie kleine Hügel aus der Wasseroberfläche. Keine Vögel. Roses Eisvogel war nirgendwo zu sehen. Er trug alte Kleidung in den Farben des Waldes, die nach Holzfeuer roch, derbe Stiefel und einen Beutel mit Brot und Käse, Streichhölzern und einer Flasche Milch, die mittlerweile so warm war, daß er sie nicht trinken mochte. Neben ihm lag eine leicht geschwungene Sichel von der Art, wie sein Großvater sie benutzte, um die Hecken zu schneiden. Auf seinen Beinen lag ein Holzstab mit einem angespitzten Ende. Der Baum hinter ihm war leicht zu besteigen, davon hatte er sich überzeugt. Er hatte seit Wochen keinen Wolf mehr gesehen, aber er wollte kein Risiko eingehen. »Du bist seltsam«, hatte seine Tante Rachel zu ihm gesagt, als er jeden Tag erst bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam. Er war noch nicht bereit, die ganze Nacht allein im Wald zu verbringen. »Stundenlang treibst du dich zu dieser Zeit im Wald herum, dreckig wie ein Zigeuner. Es ist kein Wunder, daß du keine Freunde hast. Und für deine Cousinen und Cousins hast du am Meer nicht einmal einen Blick übrig gehabt.« Mullan hatte angeboten, ihn zu begleiten, aber er hatte abgelehnt. Im Wald waren Fallen, große Fallen, die den Lauf eines Hundes oder Fuchses brechen würden. Oder eines Wolfes. Er wußte, wo sie sich befanden. Er hatte seine Zeit hier damit verbracht zu lauschen und zu beobachten, abzuwarten. Er fühlte sich, als seien seine eigenen Sinne mittlerweile so scharf wie die eines Tieres. Er spürte, daß er etwas riechen konnte, bevor er es sah. Lachen, hell und klar wie ein Silberglöckchen. Irgendwo flußaufwärts. Endlich. Er stand vorsichtig auf, schob die Sichel in seinen Beutel und nahm den Holzstab wie einen Speer in die Hand. Wieder hörte er das Lachen und das Spritzen von Wasser. Er schob sich durch die Dornenranken, schritt über die dürren Äste am Boden.

    Das Rauschen des Flusses übertönte die Geräusche. Er kam allerdings nur langsam vorwärts. Es schien ihm, als zitterten seine Glieder, und er bewegte sich unbeholfen wie ein kleines Kind. Er kam an einer Stelle vorbei, wo Löwenzahn hell im Licht der sinkenden Sonne schimmerte und hörte irgendwo in den Bäumen den harschen Ruf eines Eichelhähers. Die erste Vogelstimme, die er an diesem Abend vernahm. Der Wald veränderte sich nicht, er hatte nicht das Gefühl, etwas zu verlassen oder irgendwo anzukommen, und doch wußte er plötzlich genau, daß er an dem Anderen Ort war, daß er irgendein unsichtbares Tor durchschritten und seine Welt hinter sich gelassen hatte. Er wußte nicht mehr, wo er war, nur, daß der Fluß irgendwo vor ihm hinter den Bäumen lag. Wie immer, schienen seine Sinne noch schärfer geworden zu sein. Er konnte die Luft fast greifen, spürte ihre Würze an seiner Haut. Noch vorsichtiger bewegte er sich vorwärts. Er wußte, daß diese andere Welt ihre Bestien und Kobolde hatte, ihre großen bösen Wölfe. Er hörte ein Wimmern, ein gedämpftes Quäken, etwas wie ein Keuchen in dem Farn auf dem Abhang vor ihm. Er bewegte sich geräuschlos weiter und spähte durch die breiten Blätter und die dicken Stengel, als er vor sich eine vage Bewegung bemerkte. Jemand lag dort mit verrenkten Gliedern. Zwei Menschen lagen dort, der eine mit gespreizten Beinen auf dem Rücken, der andere über ihm. Er stöhnte und ächzte zu den rhythmischen Bewegungen seines Unterleibs. Neben den Hüften des Mannes, der oben lag, ragten zwei bleiche Schenkel wie entrindete Baumstümpfe empor. Seine Hose war bis zu den Waden heruntergezogen. Die Frau unter ihm war Michaels Tante Rose. Rose! Ihr Gesicht war dem forschenden Mund des Mannes abgewandt; sie starrte hinaufin die Äste über ihr und stöhnte, als der Mann tiefer in sie eindrang. Tränen liefen ihr über die Wangen zum Hals hinunter. Oh, Rose. Michael legte den Kopf in die Arme und weinte. Schock, Trauer und Freude, all das vermengte sich zu wirren Gedanken, die ihm durch den Kopf wirbelten. Doch alserwieder aufsah, war sie verschwunden. Er sah nur zwei weiße Birkenstümpfe, zwischen dunklerer Baumstamm lag. »Gefällt dir das, Michael?« Das Mädchen war direkt denen neben ein ihm, grinste ihn begierig an. So nah, daß er ihren Atem an seinem Hals spüren konnte. Er sprang in panischer Angst auf, aber sie

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