Der magische Wald
setzte ihm nach und griff nach ihm. Dünne Arme umfaßten seine Taille, und sie stürzten zusammen in das Farn, zwischen Laub und Dornenranken. Ihr Haar fiel über sein Gesicht wie ein dunkler Schal. Sie lachte das gleiche silberhelle Lachen, das er vorhin gehört hatte. Sie preßte ihr Kinn auf seinen Bauch. »Bleib schön liegen, mein Krieger. Ich werde dich schon nicht fressen.« Er merkte, daß sie naß war. Wassertropfen funkelten auf ihrer Haut, als sei sie gerade aus der Dusche gekommen. Sie kletterte wie ein Affe auf ihn und legte sich der Länge nach auf ihn. Unwillkürlich legte er ihr die Hände auf den Rücken. Naß fühlte sich ihr dünner Umhang wie Seide an. Sie küßte ihn, schob gierig ihren Mund über seinen und lachte dabei immer noch. Aber Michael schob sie beiseite, stieß sie in das Laub und griff nach dem Holzspeer. Er sah, wie ein listiges, gefährliches Leuchten in ihre Augen trat.
»Wer bist du? Was willst du?« herrschte er sie an und richtete die Spitze der primitiven Waffe auf ihren Bauch. Ihre Augen waren grün, aber die Pupillen hatten sich so sehr erweitert, daß sie fast schwarz wirkten. Im der Dämmerung schienen sie zu leuchten. »Was bist du?« flüsterte er. Ihre Finger umfaßten leicht den Schaft des Speers und streichelten die glatte Rinde. Sie lächelte jetzt wieder. »Eine Freundin. Komm, beruhige dich. Ich führe nichts Böses im Schilde.« »Was war das, was ich gerade gesehen habe? Diese beiden ...« Er verfluchte das heisere Auf und Ab seiner krächzenden Stimme. »Eine Erinnerung. Etwas, an das sich der Wald erinnert. Sonst nichts.« Er senkte den Speer. »Du kennst meinen Namen.« »Ich beobachte dich schon lange.«
»Du bist ein Teil davon, nicht wahr? Von diesen ganzen Dingen. Die Wölfe, die ... Dinge in den Wäldern. Ich verstehe es nicht.« Sie zuckte mit den Schultern, als sei das alles unwichtig. »Niemand kann alles verstehen. Du stellst viele Fragen, kleiner Michael.« »Ich bin nicht klein.« Aber wütend. Sie ging auf ihn zu, bis ihre Nase sich dicht vor seiner befand. Wenn sie kleiner war als er, dann nur um Haaresbreite. »Du glaubst doch an Feen, oder?« »Bist du denn eine?« Sie wirbelte herum, so daß ihr Umhang um ihre Beine flog. Nackte Füße. Ein Muttermal auf einer Wade, geschmeidige Muskeln unter der Haut. Michael fühlte eine plötzliche Lust, die ihn benommen machte. Es war, als wäre er mit einem Schlag erwachsen geworden. Er packte den Speer, bis seine Fingerknöchel weiß wurden. Das Mädchen schien sich zu amüsieren. Alles an ihm amüsierte sie, stellte er verärgert fest. Er spürte noch immer den Druck ihrer Zähne auf seinen Lippen. »Nun?« »Was, nun?« Die Situation kam ihm absurd vor. »Bist du eine Fee?« »Wenn du es möchtest.« »Wie heißt du?« »Nenn mich Cat.« »Das ist ein dummer Name.« »Du bist ein dummer Junge.« Schweigen. Vielleicht hatte sie recht. Ihm fiel keine Entgegnung ein. Er betrachtete sie mit einer Mischung aus Niedergeschlagenheit und wachsender Erregung. Er fragte sich, ob sie ihn noch einmal küssen würde. »Hast du etwas zu essen?« fragte sie. Er versuchte herauszubekommen, wie sie roch. Sie hatte einen Duft an sich, der ihm vertraut vorkam. »Brot, Käse und Milch — aber die ist zu warm.« »Leg sie in den Fluß, zum Kühlen.« »In Ordnung.« Es war, als habe er einen Test bestanden, eine Hürde genommen. Er legte die Flasche in den Fluß, wo das Wasser kühl über die Steine rauschte. Dann öffnete er seinen Beutel für sie. Sie zuckte voller Abscheu vor der Sichel zurück und wollte sie nicht anfassen. Er bot ihr das Essen an, und sie schob es sich hastig in den Mund und schlang es gierig hinunter. Er bemerkte, daß ihre Lippen dunkel waren, so dunkel, daß man meinen konnte, sie seien verletzt. Ihre Nase war zierlich und gerade, ihre Augenbrauen waren dicht und schwarz und wuchsen fast zusammen. Dort, wo bei einem Mann die Koteletten gewesen wären, wuchs ihr ein zarter Flaum aus farblosen Haaren. Ihre Haut war makellos, wenn man von ein paar Kratzern und dem Schmutz absah. Auf der Nase hatte sie Sommersprossen. Sie schien ihm das entzückendste Wesen zu sein, das er je gesehen hatte. Sie war langgliedrig wie ein Junge, und die Nägel an ihren schmalen Händen waren kurz und schmutzig. Er hätte sie stundenlang anstarren können. Er holte die Milch aus dem Fluß und bemerkte dabei, wie dunkel es im Wald wurde. Und es war nicht einmal sein Wald. Es war Zeit, zurückzukehren. Cat wischte sich
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