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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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kurz vor einer Erkenntnis stand. Sie war am Rande seines Bewußtseins, hockte dort wie ein Schwimmer kurz vor dem Start. Es hatte niemals eine Beerdigung gegeben. Warum nicht? Weil sie gar nicht tot war? Weil sie einfach irgendwohin verschwunden war? Michael riß die Augen auf. Die anderen drei betrachteten ihn mit ernsten Mienen. Kam es ihm nur so vor, oder hatte König Mirkady spitze Ohren, war sein Mund zu breit, um menschlich zu sein? Rose. »Sie ist hier«, sagte er. Das plötzliche Wissen platzte aus ihm heraus. »Hier haben sie sie hingebracht. Sie haben sie an diesen Ort gebracht.« »Wen?« fragte Dwarmo. Seine Rüstung schimmerte nicht mehr wie vorher, war an den Kanten abgenutzt. »Du hast von Rose gewußt, Cat. Darum hast du mich hergebracht. Du hast es gewußt!« Wieder diese Ähnlichkeit, dieses Fast-Erkennen. Es gab keine Zinnen mehr, keine weißen Mauern. Sie standen in einer Erdhöhle. Wurzeln ragten aus der Decke wie alte Knochen. Sie hielten Holztassen in den Händen, und alte Felle und Pelze bedeckten den Erdboden der Höhle. Darauf befanden sich Tonteller und -krüge, abgenagte Knochen und andere Speisereste. Eine Schar von alptraumhaften Wesen hockte um ein loderndes Kaminfeuer. Ihre Augen leuchteten grün wie Jade, und ihr Gebrabbel vermischte sich zu einem unverständlichen Lärm. »Bravo«, sagte Mirkady und zwinkerte Michael zu. »Mein Gott«, sagte Michael mit schwacher Stimme, und der Lärm am Feuer wurde leiser. »Dein Gott«, stimmte Mirkady zu. »Nicht unserer.« Michael ignorierte ihn. Er packte Cat am Unterarm. »Wer bist du, Cat? Woher kommst du?« »Ich bin nicht getauft worden«, sagte Cat. »Das ist alles, was ich weiß. Darum konnten die Wyrims mich aufnehmen.« »Ungewollte und verfluchte Säuglinge, die die Dorfbewohner zum Sterben aussetzen, beanspruchen wir für uns«, sagte Mirkady. »Der Schwarze Reiter hat Schwester Cat hier vor der Höhle abgesetzt. Er rief den Namen ›Catherine‹ in die Bäume und ritt davon. Aber er kommt immer zurück und beansprucht die Seinen, Michael Fay.« Mirkadys Stimme war schneidend geworden. »Du machst unsere Schwester sterblich, so daß sie Kälte und Hunger spürt. Du machst sie menschlich, und darum jagt der Schwarze Reiter sie.« »Stimmt das, Cat? Hast du das gewußt?« Aber sie sah ihm nicht in die Augen. Ihr Anblick in den Kleidern seines Onkels verwirrte ihn, sie wirkte gleichzeitig verführerisch und kindlich. »Der Schwarze Reiter hat sie erzeugt, so wie er uns alle einst erzeugte«, fuhr Mirkady unerbittlich fort. »Wir sind Verwandte der Wölfe in den Wäldern. Alle Geschöpfe im Wildwald gehören hierher, außer dir und deinesgleichen.« »Die Brüder«, murmelte eine Stimme am Kamin, und zustimmendes Raunen ertönte. »Die Stämme, die Dorfbewohner. Sie alle sind gleichen Ursprungs, Überreste eines stolzen Volkes, das aus einem Land jenseits der großen Berge vertrieben wurde und von einem verkrüppelten Mann vor so langer Zeit in den Wildwald geführt wurde, daß sie sich selbst nicht mehr daran erinnern. Also fällen sie Bäume, nennen den Boden ihr Eigentum, verbrennen ihn und rauben ihm die Ernte, während wir, Angehörige des dunklen Volkes, das schon immer hier gewesen ist, in den finstersten Teil des Waldes verdrängt werden, wo wir unser Leben in düsteren Behausungen fristen müssen. Einige verehren uns als die Geister des Waldes und der Erde und hängen ihre Opfergaben in die Bäume, aber die meisten hassen uns und fürchten uns als die Kinder des Teufels.« »Dann nenn mich doch Wechselbalg«, sagte Cat bitter und löste sich aus Michaels Griff. Aber er bemerkte es kaum, nahm sie alle kaum wahr. Rose war irgendwo hier, lebte noch. Er war sich ganz sicher. Er konnte sie finden und nach Hause bringen. »Darum bin ich hier«, sagte er benommen. Cat stand auf, setzte sich an den Kamin und trank aus einer herrenlosen Tasse. Sie starrte finster in die Flammen. »Wir müssen aufbrechen«, sagte Michael zu Mirkady. »Ich muß sie finden, wenn sie hier ist. Sie ...« Er warf Cat einen Blick zu. »Sie gehört zur Familie.« »Blut ist dicker als Wasser«, sagte Mirkady. Seine Mund war ein lippenloser Strich in einem dreieckigen Gesicht. »Ist es eine Angewohnheit von Mitgliedern deiner Familie, zwischen den Welten zu wandern?« »Sie wurde hierher gebracht. Meine Tante. Vor Jahren schon. Sie erwartete ein Kind und wurde fortgebracht.« Mirkadys Interesse schien plötzlich zuzunehmen. »Der Vater?« Michaels Gesicht brannte.

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