Der Makedonier
Witz gehalten.«
Perdikkas warf den Kopf zurück und lachte. Er schien ganz vergessen zu haben, welche Rolle Philipp bei dieser Geschichte gespielt hatte, und deshalb bemerkte er gar nicht, wie schwer es seinem Bruder fiel, die Fassung zu bewahren.
Inzwischen waren sie nahe genug an der Stadtmauer, um die Soldaten zu erkennen, die oben auf der Laufplanke Wache hielten. Doch noch gab es etwas, das gesagt werden mußte.
»Siehst du, wie sie uns beobachten?« fragte Philipp und deutete zur Mauerbrüstung hoch. »Sie fragen sich, warum die Jagdgesellschaft des Regenten so früh zurückkehrt. Inzwischen sehen sie bereits, daß ich es bin, der neben dir reitet, und nicht Ptolemaios. Und bald werden sie auch das Bündel auf dem einen Packpferd bemerken, und sie werden vermuten, daß da eine Leiche unter der Decke liegt. In einer Viertelstunde wird die ganze Stadt wissen, daß Ptolemaios tot ist. Du überlegst dir besser, was du unserer Mutter sagen willst.«
»Wenn sie die Wahrheit erfährt, wird sie verstehen.« Perdikkas schluckte schwer, als wäre diese Wahrheit auch für ihn bitter. »Er war ein schlechter Mensch – sie kann doch unmöglich so blind gewesen sein, daß sie sein wahres Wesen nicht erkannt hätte. Wenn sie hört, daß er Alexandros ermordet hat…«
Seine Stimme verebbte, als er sich vorstellte, wie es sein würde, es ihr zu sagen. Man hätte beinahe Mitleid mit ihm haben können.
Philipp antwortete nicht sofort. Ihn band keine Zuneigung an seine Mutter, er konnte deshalb klarer sehen. Die Art von Eurydikes Leidenschaft für Ptolemaios war für ihn ebenso ein Rätsel wie für Perdikkas, aber er wußte wenigstens, daß er sie nicht verstand.
»Vielleicht solltest du vorausreiten und es ihr sagen«, bemerkte er schließlich.
Aber Perdikkas schüttelte nur den Kopf.
Vor den Toren der Stadt hatte sich bereits eine Menschenmenge gebildet. Sie waren noch zu weit weg, um die Gesichter zu erkennen, aber an der Art, wie sie in kleinen Gruppen beieinanderstanden und die Köpfe zusammensteckten, sah Philipp, daß sie bereits vom Tod des Regenten wußten. Der Anblick hatte etwas Tragisches. Ptolemaios hatte zwar nie viel Zuneigung erweckt, aber das änderte nichts. Sie trauerten nicht um ihn, sondern wegen sich selbst. Was wußten sie denn schon von Perdikkas? Nichts. Für die einfachen Leute, die manchmal weiser sind als ihre Herrscher, ist ein Wechsel immer schlecht.
»Ich werde zurückbleiben und mit den anderen reiten«, sagte Philipp. »Du bist der König. Pella ist jetzt deine Stadt, und du mußt sie in Besitz nehmen.«
Perdikkas antwortete nicht, doch sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Es war eine Mischung aus Angst und Triumph, bei der schließlich der Triumph siegte. Nein, diesen Augenblick wollte er mit keinem teilen.
Doch der Triumph war nur kurz. Als der König und seine Begleiter durch das Haupttor in die Stadt einritten, waren die Massen, die die Straße säumten, zugleich mürrisch und verängstigt. Niemand bewarf die Leiche mitSchmutz, und es jubelte auch niemand. Um Ptolemaios nicht zu verärgern, hatte Perdikkas die Öffentlichkeit gemieden. Die meisten Leute kannten ihn gar nicht, und die wenigen, die es taten, hatten keine Ahnung, wie er als Herrscher sein mochte. Sie sahen die Zukunft an sich vorbeireiten, während die Vergangenheit auf dem Rücken eines Packpferdes lag. Die Zukunft war für sie ein unbeschriebenes Pergament. Im großen und ganzen zogen sie die Vergangenheit vor.
Ähnlich düstere Vorahnungen schienen auch viele Mitglieder der Jagdgesellschaft befallen zu haben, denn der größte Teil machte sich zwischen dem Stadttor und dem Eingang zum Hof des königlichen Palasts aus dem Staub. Vielleicht hatten sie Angst, zu Zielen der Rache zu werden – vielleicht zogen sie es vor, zu Hause abzuwarten, wie Perdikkas mit seiner neuen Macht umging. Oder vielleicht befürchteten sie Bluttaten, wenn die Rechnung für Ptolemaios’ Tod beglichen werden mußte, und sie wollten nicht gern Zeugen dessen sein, was passieren würde, sobald der König über seine Schwelle trat. Auf jeden Fall waren es kaum mehr als eine Handvoll, die den Stallburschen ihre Pferde übergaben.
Eurydike stand mitten im Hof. Ihr Gesicht war weiß, und trotz der Tränen, die an ihm herunterströmten, unbeweglich wie ein Stein.
»Zeigt mir seine Leiche«, sagte sie mit einer Stimme, die nichts verriet, die gerade so laut war, daß jeder sie verstand, und in der die ganze Befehlsgewalt einer Frau
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