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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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mitschwang, die Gemahlin und Mutter von Königen gewesen war.
    Man hob Ptolemaios’ Leiche vom Pferd und legte ihn ihr zu Füßen. Er war noch immer in die Decke eingewickelt, und sie bückte sich und zog sie weg.
    Die Toten sahen immer so überrascht aus. Eurydike kniete sich neben ihn und schloß ihm mit kaum merklich zitternder Hand die Augen. Sie streichelte sein Gesichtund seinen Bart, wie sie es unzählige Male getan hatte, als er noch lebte. Es war eine Berührung, in der sich Leidenschaft mit Zärtlichkeit mischte und die gleichzeitig ein Ausdruck tiefsten Leids war. Dann ließ sie ihre Finger über seine Brust gleiten. Blut klebte an ihnen, als sie sie wieder wegzog, und als sie das sah, trat der Wahnsinn in ihre Augen.
    Perdikkas trat vor und faßte sie bei den Schultern. Es war das Tapferste, was er in seinem ganzen Leben getan hatte.
    Sie hob sofort den Kopf und sah ihrem Sohn in die Augen. Einen Augenblick lang schienen sie herauszutreten aus der Zeit, erstarrt in einer Welt, die nur ihnen beiden gehörte.
    »Wie ist er gestorben?«
    »Er war ein Verräter, Mutter. Er hat Alexandros ermordet – er hätte auch…«
    »Wie ist er gestorben?« wiederholte sie, jedes Wort betonend. »Wer hat ihn getötet?«
    Perdikkas nahm die Hände von ihren Schultern und wich zurück. Sein Mut war verbraucht. Er hatte nicht einmal mehr genug, um zu lügen.
    »Ich.« Er verzog das Gesicht, als würde er gleich anfangen zu weinen. »Ich mußte, Mutter, ich…«
    Sie sprang auf wie jemand, der plötzlich eine Schlange vor sich sieht. Sie hob die Hände, ihre Finger krümmten sich zu Krallen, als wollte sie sich auf ihn stürzen, ihm das Gesicht mit ihren Nägeln zerfetzen. Aber sie tat es nicht. Der Ausdruck in ihrem Gesicht war kaum noch menschlich. Sie zitterte am ganzen Körper vor wahnsinniger Wut.
    »Ich verfluche dich«, schrie sie. »Ich verfluche die Stunde, in der ich dich geboren und nicht mit der Nabelschnur erdrosselt habe. Ich verfluche alle Tage deines Lebens. Du sollst sterben, wie er gestorben ist, vor den Augen von Fremden. Deine Herrschaft soll in Vernichtung enden, undkein Sohn soll dir nachfolgen. Ich verfluche dich, Perdikkas! Den Fluch einer Mutter über dich!«
    Eurydike wirbelte herum und rannte in den Palast zurück. Sie sah nicht einmal, daß Philipp auf den Hof kam.
    »Sie ist wahnsinnig geworden!« rief Perdikkas. Er legte Philipp eine Hand auf die Schulter, vermutlich weil er Angst hatte, daß seine Beine unter ihm nachgeben würden.
    »Sie ist schon lange wahnsinnig. Hast du das wirklich nicht gewußt? Nur die Götter wissen, was sie jetzt tun wird. Vielleicht ist es am besten, wenn man sie nicht allein läßt.«
    »Sie hat mich verflucht. Sie hat mir Tod und Vernichtung gewünscht.« Wie außer sich vor Angst, klammerte der König von Makedonien sich an seinen Bruder, wie ein Säugling sich an seine Amme klammert. »Man muß sie zwingen, es zurückzunehmen.«
    Aber Philipp schüttelte nur den Kopf. Er war entsetzt bis in die Tiefen seiner Seele.
    »Sie wird es nicht zurücknehmen. Sie wird es nie zurücknehmen, auch wenn du sie in Stücke reißen läßt. Diese Frau weiß wirklich zu hassen.«
    Zärtlich, mit fast weiblicher Sanftheit, nahm Philipp die Hand seines Bruders von seiner Schulter.
    »Jemand muß sich um sie kümmern«, flüsterte er. »Ich werde gehen.«
    Über zwei Jahre waren vergangen, seit er diesen Palast das letzte Mal betreten hatte. Die Diener, an denen er vorbeikam, waren so überrascht, ihn zu sehen, daß sie vergaßen, sich zu verbeugen.
    Als er die Gemächer des Regenten erreichte, bemerkte er, daß die Tür von innen verschlossen war.
    »Mutter, laß mich hinein. Ich bin’s, Mutter, Philipp.«
    Er erhielt keine Anwort. Einen Augenblick später hörte er einen Schrei. Es klang nicht wie Eurydikes Stimme.
    »Mutter, mach die Tür auf – sofort!«
    Er schlug mit den Fäusten auf die groben Holzbohlen und warf sich dann mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, aber die war fest wie eine Wand.
    »Ich brauche Hilfe«, dachte er, »bevor es zu spät ist.« Doch in seinen Eingeweiden spürte er, daß es bereits zu spät war.
    Im großen Saal fand er Glaukon, der ihn gesucht hatte. Für eine Umarmung blieb keine Zeit.
    »Bring zwei Männer und diese Bank da«, befahl er, die Worte hastig hervorstoßend. »Und schicke nach Nikomachos – es kann sein, daß wir einen Arzt brauchen.«
    Der Gang war schmal und die Tür stabil. Sie mußten mehrmals dagegen anrennen, bevor die

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