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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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Bank sie aus den Angeln drückte. Kaum war Philipp über die zersplitterten Reste geklettert und hatte die Gemächer des Regenten betreten, roch er Blut.
    Ein Hausmädchen hatte sich unter einem Tisch versteckt. Sie zitterte und weinte und war zu verstört, um auf Fragen zu antworten. Das Vorderteil ihrer Tunika war mit Blut bespritzt, aber sie war unverletzt. Nur die Götter wußten, was sie gesehen hatte.
    Philipp ging allein in das Zimmer seiner Mutter. Er fand sie dort mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett liegend. Ihr Kopf lag in einer Blutlache. Sie hatte sich selbst die Kehle durchgeschnitten.
    Das Messer, das sie benutzt hatte, lag neben ihr.
    »Deine Schwester ist ebenfalls tot.«
    Philipp drehte sich um und sah Nikomachos in der Tür stehen. Seine Hände waren blutverschmiert.
    »Meda?«
    »Ja, Meda.« Nikomachos schüttelte den Kopf, als könnte er es selbst nicht glauben. »Ich habe sie zur Welt gebracht. Ich…«
    Philipp schien überhaupt nichts zu empfinden. Er wußte, daß er später den Schmerz dieses Augenblicks empfinden würde, aber jetzt war er zu entsetzt, um auch nureine Träne zu vergießen. Er hob das blutige Messer auf, das neben der Leiche seiner Mutter lag.
    »Sie muß Meda getötet haben und dann hierher gekommen sein, um sich selbst zu töten. Von welchem Dämon war sie nur besessen?«
    Der Arzt sagte nichts. Er hatte keine Antwort.
    »Meine Familie ist mit einem Fluch beladen«, fuhr Philipp fort, und seine eigenen Worte überraschten ihn. »Und noch ist sein Gift nicht erschöpft.«

23
     
     
    PTOLEMAIOS’ LEICHE WURDE in die alte Hauptstadt Aigai gebracht, wo alle Könige Makedoniens begraben lagen, und dort auf Alexandros’ Grab gekreuzigt. Sein Sohn Philoxenos, der die Schuld am Verrat seines Vaters mittragen mußte, wurde vor die Versammlung geführt und dort getötet, und zwar von denselben Männern, die weniger als drei Jahre zuvor seinen Vater zum Regenten gemacht hatten.
    Perdikkas zündete als Oberhaupt der Familie den Scheiterhaufen seiner Schwester mit eigener Hand an, und ihre Überreste wurden in purpurne und goldene Tücher gewickelt und in einem goldenen Kasten in die Vorkammer des Grabes ihres Vaters gestellt. Eurydike wurde als Selbstmörderin nachts verbrannt, damit der Anblick die Götter nicht beleidigte, und ihre Urne in einem namenlosen Grab außerhalb der Stadtmauern verscharrt.
    Alles, was in diesen ersten Tagen nach Ptolemaios’ Tod geschah, geschah nach Recht und Sitte, aber dennoch konnte nichts den Makel tilgen, der auf dem Beginn von Perdikkas’ Herrschaft lag. Es hieß, ihm würde als Königkein Glück beschieden sein, denn seine Mutter hatte ihn mit ihren letzten Worten verflucht.
    Am Anfang sah es auch so aus, als würde Perdikkas diese Vermutung bestätigen, denn alles, was er tat, war bestimmt von Angst. Er umgab sich mit Männern, die unter Ptolemaios in Ungnade gefallen waren, und diese wollten sich für die drei Jahre der Demütigungen rächen, indem sie den König drängten, alle treuen Anhänger des toten Regenten zu beseitigen. Es gab viele Verratsprozesse vor der Versammlung, so viele, daß die Makedonier unter Waffen ihrer müde wurden und sich dagegen sträubten, Männer zu verurteilen, deren einziges Verbrechen die Treue zu einem Mann war, den sie alle als Herrscher anerkannt hatten. Schließlich sah auch Perdikkas ein, daß die Prozesse unbeliebt und gefährlich waren, und machte ihnen ein Ende.
    Aber die Angst verließ ihn nicht.
    Er hätte sogar Angst gehabt vor seinem Bruder Philipp, wenn das möglich gewesen wäre. Aber Philipps Treue war so unverbrüchlich, daß nicht einmal Perdikkas an ihr zweifeln konnte, und außerdem schien Philipp kein Interesse an der Macht zu haben. Der Tod seiner Mutter und seiner Schwester hatte ihn offensichtlich zermürbt.
    Er hatte seine Schwester Meda sehr gemocht, obwohl er sie nach ihrer Heirat mit Ptolemaios kaum noch gesehen hatte. Von seiner Mutter hatte er nur Abneigung und Nichtbeachtung erfahren, und deshalb traf ihn ihr Tod um so schwerer, denn es schmerzt tief in der Seele, wenn man um jemanden trauert, den man nie hat lieben dürfen. Ihr letzter und ungeliebter Sohn grub denn auch mit eigenen Händen ihr Grab und goß Trankopfer über ihre Urne, damit ihr Geist ein wenig Ruhe finden möge.
    Philipp begann zu glauben, daß Eurydikes Fluch weniger Ausdruck ihres Kummers und ihres Wahnsinns, sondern, auf unheimliche Weise, die Stimme des Himmels war. In ihm wuchs die Überzeugung, daß das

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