Der Makedonier
Beschreibung sein Pferd nicht sofort erkannt hatte.
»Mein Pferd. Bei den Göttern, wie kann er es wagen, mein Pferd zu nehmen.«
Gut, dachte Philipp. Im Laufe der Jahre war seine Wut etwas stumpf geworden – aber dies gab ihr wieder Schärfe. Und Wut würde er wirklich brauchen.
Sein Pferd stand nur wenige Schritte entfernt angebunden, und Philipp löste ihm die Fußfesseln und streifte ihm die Zügel über den Kopf. Dann nahm er sein Schwert und sprang auf den Rücken des Tieres. Die Jäger waren nur noch eine knappe Viertelstunde entfernt.
Philipp ritt aus dem Hain heraus ins Sonnenlicht. Er merkte genau, wann er erkannt wurde, denn in diesem Augenblick zog die gesamte Jagdgesellschaft, wie von einem einzigen Willen geführt, die Zügel an und blieb stehen. Sie warteten, und eine eigentümliche Ruhe legte sich über sie, als wären sie aus der Zeit herausgetreten – alle bis auf Ptolemaios, der Mühe hatte, den großen schwarzen Hengst im Zaum zu halten.
Sie warteten, während Philipp auf sie zuritt, und als er nur noch siebzig oder achtzig Schritt von ihnen entfernt war, schrie er seine Anschuldigung heraus.
»Ptolemaios von Aloros, ich beschuldige dich des Verrats. Ich beschuldige dich der Mittäterschaft beim Mord an König Alexandros. Ich beschuldige dich der Verschwörung mit dem Ziel, den Prinzen Perdikkas zu beseitigen und dich selbst als König einzusetzen.«
Zunächst kam keine Erwiderung, doch dann warf Ptolemaios den Kopf zurück und lachte.
»Wir haben solche Sachen von Prinz Philipp schon öfter gehört«, sagte er. »Wie jeder sich erinnern wird, hat mein Stiefsohn mir einmal sogar vorgeworfen, ich plane seine Ermordung.« Er drehte den Kopf Perdikkas zu, der direkt neben ihm stand, und lachte noch einmal, doch falls er erwartet hatte, daß der König in sein Lachen mit einfiel, wurde er enttäuscht. Perdikkas wandte sich ab, und in seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Angst und Verlegenheit. Alle schwiegen und warteten.
»Welchen Beweis hast du anzubieten, Philipp?« fuhr Ptolemaios fort, als er die Gesichter der Männer in seiner Umgebung sah. »Du beschuldigst mich entsetzlicher Verbrechen, für die ich mit meinem Leben würde bezahlen müssen. Was ist dein Beweis?«
»Der Beweis liegt in deiner schuldigen Brust, mein Prinz. Ich klage dich an vor den ewigen Göttern, denen nichts verborgen bleibt, und ich biete dir den Beweis meines Schwertes an. Ich will meine Familie rächen, mein Prinz, und ich glaube, du wirst es nicht wagen, dich zu verweigern, denn ich werde deinen Verrat in den Himmel schreien, solange noch Atem in meiner Brust ist. Ptolemaios von Aloros, ich fordere dich zum Zweikampf heraus.«
Philipp stieg ab und zog sein Schwert, kaum daß seine Füße den Boden berührt hatten. Er schlug seinem Pferd auf das Hinterteil, um es aus der Gefahrenzone zu schicken, und es galoppierte ein Stück weit davon.
»Philipp!« rief plötzlich Perdikkas, als wäre er gerade eben aus einer Trance aufgewacht. »Philipp, ich verbiete das – das ist…«
»Das ist schon zu weit vorangeschritten, als daß man es noch verbieten könnte«, unterbrach Ptolemaios ihn und entriß einem Knecht seinen Speer. »Philipp, Sohn des Amyntas, du junger Narr, deinen Tod hast du dir selbst zuzuschreiben!«
Er grub seinem Pferd die Fersen so heftig in die Flanken, daß Blut unter den Sporen hervortrat, und der schwarze Hengst stürmte mit wilden Augen und schreiend wie eine verdammte Seele vorwärts.
Einen Augenblick stand Philipp nur da. Er war wie gelähmt vor Angst. Dieser Mann hatte gar nicht die Absicht zu kämpfen.
Er wollte ihn einfach überrennen und ihn zu Tode trampeln wie einen Frosch auf der Straße.
Doch dann machte die Angst der Wut Platz – Prinz Ptolemaios war ein Feigling, der seine Ehre verraten hatte.
Und Philipp war nicht bereit, unter den Hufen seines eigenen Pferdes zu sterben.
»Alastor!« rief er. »Alastor, halt!«
Wenn in späteren Jahren Augenzeugen erzählten, was passiert war, sagten sie manchmal, daß der große schwarze Hengst in diesem Augenblick von einem Gott besessen gewesen sein mußte, denn ein Pferd ist kein Mensch, der sich Erinnerungen auch über lange Zeit hinweg bewahren kann. Zwar erkennt ein Hund seinen Herrn, auchwenn er ihn erst am Ende seines Lebens wiedersieht. Hat denn nicht Homer geschrieben, daß Odysseus’ Hund, als er schon alt und schwach war, die Hand eines Bettlers leckte, den alle verachteten, weil er ihn als den Herrn des Hauses
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