Der Makedonier
zu leise, als daß sie die Worte hätte verstehen können, aber sie vernahm die ungewöhnliche Eindringlichkeit seiner Stimme und sah an den Gesichtern der Männer in seiner Umgebung, wie gebannt sie zuhörten. Zumindest in diesem Augenblick besaß er ihre Seelen.
Der Anblick war wie ein Symbol für sie, der Kern all jener Eindrücke, die sie seit seinem ersten, friedensuchenden Besuch bei Derdas von ihm erhalten hatte. Er war ernsthaft. Er kümmerte sich nicht um den äußeren Schein, sondern zog es vor, die Welt zu sehen, wie sie war, und das, was er sah, in einfachen, fast schmerzhaft wahrheitsgemäßen Worten zu beschreiben. Er war ein Mann, dem andere Männer instinktiv folgten.
Es dauerte einige Augenblicke, bis er ihrer gewahrwurde. Dann hob er den Kopf und sagte, ohne zu lächeln: »Meine Herren, wir werden dies ein andermal fortsetzen.«
Ein Diener brachte ein Tablett mit Essen herein und stellte es auf den Tisch. Es gab Brot und Käse, eine Schüssel Feigen und einen kleinen Krug Wein. Noch im Stehen nahm Philipp eine Feige und schnitt sie mit einem Messer auf.
»Bitte nimm Platz, Prinzessin«, sagte er. Er schien voll und ganz damit beschäftigt, das Fruchtfleisch aus der Feige zu kratzen. »Sei so gut und schenke uns beiden ein wenig Wein ein.«
Phila goß den Wein in zwei kleine Schalen und stellte den Krug wieder auf den Tisch. Doch sie trank nicht und rührte auch das Essen nicht an. Es kam ihr einfach nicht in den Sinn.
»Warum hast du mich herbestellt, Herr?«
»Herbestellt?« Er sah sie an und lächelte schließlich, als überraschte es ihn, daß sie diese Wendung benutzte. »Weißt du, was in fünf Tagen geschehen wird?«
»Es wird eine Versammlung stattfinden.«
»Und dann?«
»Wirst du zum König gewählt werden.«
Er setzte sich, riß ein Stück Brot ab und tauchte es in seinen Wein. Man hätte meinen können, er hätte sie gar nicht gehört.
»Hast du etwas dagegen, daß ich König werde?« fragte er.
Als sie nicht antwortete, lehnte er sich ein wenig zur Seite, so daß seine Schulter die Wand berührte. Lange schwieg er, kaute an seinem Brot und musterte ihr Gesicht, als wartete er immer noch auf ihre Antwort.
»Ich werde nicht König sein, weil ich es will, sondern weil es notwendig ist«, sagte er schließlich. »Auch wenn Derdas zurückkehren und mein Bruder ihn begnadigen würde, könnte er hier nie wieder herrschen. Die Edelleute werden ihm nicht verzeihen, daß er sie in eine demütigende Niederlage hineingezogen hat. Du hörst das vielleicht nicht gerne, aber es ist die Wahrheit. Ich werde König sein, weil kein anderer da ist.«
Phila konnte ihn nicht ansehen. Sie spürte, daß sie den Tränen nahe war, aber es waren nicht seine Worte, die sie schmerzten. Sie konnte einfach die Eindringlichkeit seines Blickes nicht ertragen. Was wollte er von ihr?
»Was willst du?«
Diese Frage brachte ihn dazu, nun doch den Blick abzuwenden. Plötzlich hatten Brot und Käse seine ganze Aufmerksamkeit, und Phila merkte verwundert, daß er verlegen war.
»Ich will ein guter König sein, treu meinem Bruder und den Menschen dieses Landes. Ich will in Frieden herrschen und allen Teilungen und Feindseligkeiten ein Ende setzen.«
»Und was hat das mit mir zu tun?«
Jetzt war er wirklich verlegen, und zwar so sehr, daß er errötete. Es gab ihr ein kurzes Gefühl des Triumphes, zu wissen, daß sie, zumindest in diesem Augenblick, ihm gegenüber im Vorteil war.
»Es ist die Pflicht eines Königs, sein Volk zu beschützen«, sagte er, und es klang wie eine lange eingeübte Rede, »solange er lebt und auch noch nach seinem Tod. Ein König braucht einen Nachfolger. Ich möchte dich gern zu meiner Frau machen, meine Prinzessin.«
Einen Augenblick lang vergaß sie zu atmen. Wenn jemand sie gefragt hätte, was sie fühle, hätte sie nicht antworten können. Eigentlich fühlte sie überhaupt nichts. Sie war lediglich überrascht.
Redete er noch? Ja, er redete noch.
»… Es tut mir leid, Prinzessin. Ich habe nicht die Absicht, dich zu beleidigen, und ich bin sicher, daß es dir unangenehm ist, darüber zu reden, aber da du keinen männlichen Verwandten hast, an den ich mich wenden könnte – zumindest keinen, dessen Rang es ihm erlaubt,für dich zu sprechen –, habe ich keine andere Wahl, als dir persönlich meinen Antrag zu machen. Aber fürchte nicht, daß ich dich zu dieser Heirat zwingen werde, Prinzessin. Wenn der Gedanke dich mit Abscheu erfüllt oder wenn du glaubst, den Antrag nicht
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