Der Makedonier
annehmen zu können, ohne deine Ehre zu verlieren, dann werde ich dir eins der königlichen Landgüter schenken, und du kannst dort leben, wie du es für richtig hältst. Aber es wäre das beste, wenn du annehmen würdest. Du bist die letzte des alten Königsgeschlechts.«
»Ist das alles, was du willst?« fragte sie. »Rechtmäßigkeit?«
»Die >Rechtmäßigkeit< meines Anspruchs, wie du es zu nennen beliebst, habe ich mit meinem Schwert bewiesen.« Seine Finger verkrampften sich um den Rand seiner Trinkschale, und Phila fürchtete schon, er würde sie zerdrücken, so wütend sah er aus. »König werde ich, weil die elimiotische Versammlung mich dazu wählt. Die Männer glauben, ich tue ihnen einen Gefallen, wenn ich die Wahl annehme. Sie haben recht, das zu glauben, denn ich würde alten Spaltungen ein Ende bereiten – zum Wohl des Volkes.«
»Zum Wohl wessen Volkes?« fragte sie, ohne zu wissen, warum sie sich so verletzt fühlte. »Zum Wohl der Elimioten oder dem der Makedonier?«
Wie sie so dasaß und er sie ansah mit seinen wunderschönen blaugrauen Augen, spürte sie, daß ihr schon wieder Tränen in die Augen stiegen.
Aber sie durfte nicht weinen. Die Frauen aus dem elimiotischen Königshaus weinten nicht vor Fremden. Sie würde lieber sterben, als dem Prinzen Philipp ihre Gefühle offenbaren.
»Die Elimioten sind Makedonier.« Sein Griff um die Schale lockerte sich ein wenig, und er hob das Gefäß, trank allerdings nicht daraus. »Wir sind ein Volk. Wir müssen ein Volk sein.«
»Denk über mein Angebot nach«, sagte er, als würden sie über den Preis eines Pferdes verhandeln. »Ich hätte gern eine Antwort, bevor die Versammlung zusammentritt.
Noch eins, falls du beschließt, es anzunehmen, mußt du der Treue zu deinem Bruder abschwören.«
»Ich habe ihn bereits einmal verraten. Ist das nicht genug?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn eine Frau heiratet, verläßt sie eine Familie und schließt sich einer anderen an. Die Feinde ihres Gatten werden auch ihre Feinde. Ich will nur, daß du dir dessen bewußt bist.«
Sie stand vom Tisch auf, und bevor er sie davon abhalten konnte, verbeugte sie sich vor ihm.
»Vielen Dank, mein Prinz. Du wirst meine Antwort erhalten, bevor die Versammlung zusammentritt.«
Als Phila dann allein in ihrem Zimmer war, wo niemand sie sehen konnte, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Sie weinte, als würde ihr die Brust zerspringen. Sie weinte, bis die Tränen ihr die Kehle ausgetrocknet hatten, bis keine Tränen mehr übrig waren.
Hinter sicher verschlossener Tür auf ihrem Bett liegend, dachte sie darüber nach, was für ein schwaches und unbedeutendes Ding eine Frau doch war. Begehrte der Prinz Philipp sie? Begehrte er sie wegen ihrer Person? Vielleicht tat er es sogar, aber es würde ihm auch nichts ausmachen, wenn er es nicht täte. Was er ihr vorschlug, war ein Bund zwischen Herrscherhäusern, eine Heirat, die als ihre Bestimmung hinzunehmen man ihr von Jugend an beigebracht hatte, aber daß gerade er ihr einen solchen Antrag machte, war bitter. Von ihrer Familie fortgeschickt zu werden, um die Gattin eines Fremden zu sein, hätte sie leichteren Herzens ertragen. Aber die Frau Philipps von Makedonien zu sein, nur weil er es für das beste hielt, »zum Wohle des Volkes…«
Denn sie liebte ihn. Vielleicht liebte sie ihn schon seitdiesem ersten Augenblick im alten Garten ihres Vaters – sie wußte es nicht. Sie wußte nur, daß sie jedes Verbrechen begehen würde, das er von ihr verlangte.
Hatte sie deshalb Derdas das Tor vor der Nase zugeschlagen? Damals war ihr dieser Gedanke nicht in den Sinn gekommen, aber jetzt war sie sich nicht mehr sicher. Sie würde sich nie mehr sicher sein.
»Ja, nimm mich, wenn du willst«, dachte sie. »Und ich werde dich lieben mit der niederen, verworfenen Liebe einer Frau. Auch wenn du mich nie ansiehst, mir nie ein Lächeln schenkst, werde ich dich lieben bis in den Tod.«
28
VIER TAGE SPÄTER trat beim ersten Licht des Tages die Versammlung der Elimioten zusammen. Der Antrag, König Derdas seines Amtes zu entheben, wurde gestellt und unter lautem Lärmen angenommen. Als Philipp dann zum neuen König ausgerufen wurde, umringten ihn die Männer und schlugen zum Zeichen ihrer Treue mit ihren Schwertern gegen die Brustpanzer. Keiner hatte das Wort gegen ihn erhoben, denn auch wenn die makedonische Armee nicht vor den Toren der Stadt gelegen hätte, hätte es keinen anderen Kandidaten gegeben, dessen Wahl
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