Der Makedonier
anderen Gründen. Auf jeden $ Fall dauerte es lange, bis Philipp sich wieder verständlich machen konnte.
»Jetzt wollen wir diese Stadt betreten, die ab heute wieder eine makedonische Stadt ist, und möge dieser Sieg einen neuen Anfang für Sieger wie Besiegte bedeuten.«
Und als die schweren Tore sich öffneten, hätte man meinen mögen, daß Aiane die eigene siegreiche Armee willkommen hieß. Menschen strömten ins Freie und säumten die Hauptstraße, die vom Stadttor zum Königspalast führte. Sie warfen Blumen unter die Hufe von Philipps Pferd und drängten sich dabei so nahe an ihn, daß Alastor unruhig wurde und Philipp ihn nur mit größter Mühe davon abhalten konnte, sie zu zertrampeln. Frauen weinten und hielten ihre Kinder in die Höhe, und Männer jubelten. Es war, als hätten sie einen neuen Helden gefunden.
Warum sollten sie nicht jubeln, dachte Philipp und winkte lächelnd in die Menge. Sie wissen, was sonst mit eroberten Städten passiert. Sie sind dankbar, daß sie noch am Leben sind.
Als er in den Palasthof einritt, den er sechs Monate zuvor noch als Bittsteller betreten hatte, waren nur Diener und ein paar alte Schreiber, die Arbeitstiere der königlichen Verwaltung, anwesend, um ihn zu begrüßen. Die einzige Person von Stand, die er sah, war die Prinzessin Phila.
Sie trug eine dunkelblaue Tunika, die auch ihr Haar bedeckte, und ihr Gesicht war ausdruckslos. Sie hätte ebensogut auf ihren Henker warten können.
»Ich werde dich in deine Gemächer führen«, sagte sie mit einer Stimme, der man die Anspannung kaum anmerkte. »Da sonst niemand da ist, der es tun könnte.«
»Und welche Gemächer sind das, Prinzessin?«
»Welche du willst«, antwortete sie, und sie schien überrascht, daß er es überhaupt für angebracht hielt, danach zu fragen, »denn dieses Haus und alles, was darin ist, gehört dir.«
In diesen Worten lag weder Bitterkeit noch die Höflichkeit einer gerne ausgesprochenen Einladung. Sie stellte einfach fest. Und doch, als sie ihn hineinführte und sie allein die große Empfangshalle durchschritten, konnte Philipp nicht umhin, sich zu fragen, ob sie sich selbst als Teil seiner neuen Besitztümer betrachtete.
»Prinzessin«, sagte er, wie um diesen Gedanken zu verscheuchen. »Wer hat befohlen, die Stadttore vor Derdas zu schließen?«
Als von ihr keine Antwort kam, lächelte er.
»Das warst du, nicht?«
»Mein Bruder war so siegessicher«, sagte sie, und nur in ihren Augen sah man, wie sehr sie litt. »Ich wußte, daß du seine Unterwerfung als Bedingung für den Frieden verlangt hättest, und ich wußte, daß er das nie hingenommen hätte. Ich mache mir keine falschen Vorstellungen darüber, was für ein Mann er ist. Er hatte verloren, das war offensichtlich, und er hatte keine Vorkehrungen für eine Belagerung getroffen. Nichts hätte dich daran hindern können, Aiane einzunehmen, wenn nicht jetzt, dann in einem Monat und nach wieviel Leiden? Am Ende hättest du ihn gefangengenommen, und ich weiß, welche Rache Städte zu erwarten haben, die sich weigern, sich ihren Eroberern zu ergeben.«
»Und deshalb hast du…«
»Und deshalb habe ich ihn verraten.« Tränen, so kalt wie Regenwasser, liefen über ihr gequältes Gesicht. »Er gibt mir Vollmacht, wenn er nicht da ist, und deshalb sind die Leute daran gewöhnt, meinen Befehlen zu gehorchen. Und in diesem Fall haben sie ihnen nur zu bereitwillig…«
»Aber natürlich haben sie ihnen bereitwillig gehorcht – sie wußten, daß du sie rettest.«
Er sah sich um und betrachtete die Gemälde an derWand, um ihr seine Blicke zu ersparen, während sie um ihre Fassung rang. Er hatte ihr den Rücken zugedreht als er weitersprach.
»Prinzessin, du hast sowohl Edelmut wie Weisheit gezeigt, eine höchst seltene Mischung. Deinetwegen bin ich beinahe froh, daß dein Bruder mit dem Leben davongekommen ist.«
Aiane nahm die Eroberung ohne Aufhebens hin, und weder in dieser noch in den folgenden Nächten kam es in der Stadt zu irgendwelchen Zwischenfällen. Philipp hatte verkünden lassen, daß Geiseln, die bei Überfällen jenseits der Grenze genommen worden waren, sich nur melden müßten, um ihre Freiheit wiederzuerlangen, und im Lauf der Zeit fanden etwa zweihundert, vor allem junge Frauen, den Weg in das makedonische Lager. Die meisten stammten natürlich von den großen Gütern in der weiteren Umgebung der Stadt, doch auch ihnen wurde die Freiheit geschenkt. Niemand hatte Lust, mit Philipps Wort leichtfertig
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