Der Makedonier
umzugehen.
Aber sein Hauptanliegen war nicht Gerechtigkeit, sondern Versöhnung. Tagelang war die Luft schwarz vom Rauch der Scheiterhaufen, auf denen die Gefallenen verbrannt wurden. Die Makedonier hatten etwa einhundertfünfzig Männer verloren, aber den Gegner hatte es viel schlimmer getroffen – über tausend Mann waren in diesen wenigen Stunden der Schlacht gefallen. Philipp befahl, daß ihre Knochen ihren Familien ohne Lösegeld übergeben werden und die, welche niemand wollte, ein Ehrenbegräbnis neben seinen eigenen Soldaten erhalten sollten.
All dies beeindruckte die Elimioten sehr, die nicht gerade für ihre Milde berühmt waren. Im Laufe von Tagen kamen Derdas’ Edelleute, manchmal in Gruppen, manchmal allein, in seinen ehemaligen Palast, um vor dem, der ihn besiegt hatte, den Treueschwur auf König Perdikkas zu leisten, und die Soldaten der städtischen Garnison folgten ihrem Beispiel.
Aber da Männer dem Truppenteil, zu dem sie gehörten, manchmal mehr Treue entgegenbrachten als irgendeinem Befehlshaber, machte Philipp es sich zur Regel, alle Einheiten der alten elimiotischen Armee einzugliedern in seine neue Armee, die er geschaffen hatte, um jene zu bekämpfen. Bei den Fußtruppen war das nicht sehr schwierig, da viele von ihnen zum Dienst gepreßt worden waren und nur auf die Höfe ihrer Väter zurückkehren wollten, aber die Reiterei warf Probleme auf. Außerdem war sie in der Überzahl. Von denen, die gegen Philipps Soldaten in die Schlacht geritten waren, lebten noch etwa zweihundert. Philipp konnte nicht einmal einen seiner eigenen Offiziere an die Spitze jeder elimiotischen Einheit stellen, denn dazu hatte er nicht genug. Und Derdas hatte es in der kurzen Zeit vor der Schlacht nicht geschafft, seine ganze Streitmacht zusammenzuziehen, so daß es einige entlegene Garnisonen gab, die erst einen Monat nach der Schlacht von der Niederlage erfuhren.
Aber Elimeia war so zersplittert in einander feindselig gesinnte Stammesgebiete wie ganz Makedonien. Die Männer aus dem Flachland hielten jeden aus den Bergen des Westens für ein barbarisches Ungeheuer, und die Männer von jenseits des Siatista-Passes redeten in einer Sprache, die so stark illyrisch gefärbt war, daß einer, der nicht unter ihnen geboren war, sie kaum verstand. Die Bande der Familie und der Sippe waren die einzigen, die zählten. Alle diese Männer waren also ihren eigenen Edelleuten in die Schlacht gefolgt und waren vor allem ihnen treu.
Deshalb vermischte Philipp die Überlebenden wie Salz und Sand. Sollen sie eine neue Art der Kriegführung zusammen mit neuen Kameraden lernen, dachte er. Sollen sie lernen, Makedonier zu sein.
Einen Monat nach der Schlacht bat eine Gruppe vonelimiotischen Edelleuten um ein vertrauliches Gespräch mit Philipp. Er wußte, was sie wollten. Er hatte sie bereits erwartet.
»Derdas ist nicht mehr da«, sagten sie. »Er wird nicht zurückkommen. Nach dem, was passiert ist, wollen wir das auch gar nicht. Und er war der letzte seines Geschlechts. Wir brauchen einen neuen König.«
»Ihr habt einen König«, erwiderte Philipp. »Sein Name ist Perdikkas.«
»Perdikkas ist in Pella. Wir wissen nichts von Perdikkas, und ein König nützt nichts, wenn er vier Tagesmärsche entfernt ist. Die Männer wollen einen König, den sie sehen können.«
»Was schlagt ihr vor?«
»Wir wollen dich der elimiotischen Versammlung vorschlagen. Du hast das Recht auf die Königswürde mit Waffengewalt errungen, und du bist von königlichem Blut. Außerdem bist du bereits mächtiger als ein König, und die Männer werden sich ihrer Niederlage weniger schämen, wenn sie dir die Treue schwören können und nicht irgendeinem Fremden. Wir wollen wissen, ob du die Wahl annehmen wirst?«
»Sind die anderen Edelleute ebenfalls eurer Meinung, oder sprecht ihr nur für euch selbst?«
»Wir sind doch keine Narren, Prinz Philipp. Wir brauchen einen König, denn sonst zerfleischen wir uns über kurz oder lang gegenseitig; so war das immer. Ein Sieg bringt einem Mann Achtung ein, also besser du als irgendein anderer.«
»Ich muß meinem Bruder schreiben und ihn um Erlaubnis bitten. Ob König oder nicht König, ich bleibe sein Untertan.«
»Das verstehen wir.«
»Dann werde ich schreiben.«
Als Perdikkas den Brief seines Bruders erhielt, wußte erzunächst nicht, was er denken sollte. »Es ist vorwiegend eine Frage der Form und der Empfindlichkeit der Elimioten«, hatte Philipp geschrieben. »Wie alle anderen auch, wollen sie
Weitere Kostenlose Bücher