Der Makedonier
es?«
»Kalt und naß.« Philipp grinste. Er hatte beim Gehen ihre Hand genommen, und sie hatte sich nicht gewehrt. Es war das erste Mal, daß er sie berührte.
»Gehst du nach Pella, um deinen Bruder zu besuchen?« Die Frage klang so unschuldig, daß Philipp nicht anders konnte, als sie anzusehen, um sich zu vergewissern, daß sie nicht noch etwas anderes meinte.
»Ja, um meinen Bruder zu besuchen.« Er zuckte die Achseln. Über seinen Bruder wollte er nicht reden. Er wollte lieber darüber reden, wie der Wind sich in ihren schwarzen Haaren verfing und sie tanzen ließ. »Ich fürchte, er wird nicht sehr froh sein, mich zu sehen, aber es wird ihn beruhigen, wenn er sieht, daß ich meine Armee zu Hause gelassen habe.«
»Vertraut er dir denn nicht?«
»Er ist ein König. Ein König traut niemandem, den Mitgliedern seiner eigenen Familie wahrscheinlich am wenigsten.«
Er sah, daß ihr Gesicht sich verdüsterte, und wünschte sich, er hätte das nicht gesagt. Natürlich würde sie diese « Worte auf sich selbst beziehen oder sich zumindest daran erinnern, was sie ihrem eigenen Bruder angetan hatte.
»Mein Bruder hatte kein leichtes Leben«, fuhr er fort, um sie abzulenken. »Er hatte das Pech, von unserer Mutter aufgezogen zu werden.«
»Und du nicht?«
»Nein, ich nicht. Mich hat man gleich nach meiner Geburt in die Obhut der Frau des Haushofmeisters gegeben. Ich habe das immer für ein großes Glück gehalten, aber vielleicht erklärt das, warum die Leute sagen, ich sehe mehr aus wie ein Stallbursche denn wie ein König.«
Sie lächelte nicht über diesen Witz.
»Ich habe noch nie jemanden so etwas sagen hören«, erwiderte sie.
»Dann sagen sie es vielleicht gar nicht. Vielleicht sage ich es mir nur selbst. Ich habe nie bedauert, daß ich so bin, wie ich bin. Aber ich fühle mich eben nicht sehr königlich.«
»Mein Bruder hat geglaubt, König zu sein heißt, über die Sorgen gewöhnlicher Männer erhaben zu sein, und das hat ihn in den Ruin gestürzt. Ich glaube, du bist weiser als er.«
Zärtliche Dankbarkeit regte sich in ihm, und er führte ihre Hand an seine Lippen und küßte sie. Einen Augenblick lang blieben sie so stehen, ihre Hand zwischen seinen Händen, und in ihren Augen sammelten sich Tränen.
Er spürte, daß sie zitterte, und er wußte, wenn er sie jetzt an sich riß, würde sie sich ihm hingeben, wußte, daß sie ihm in diesem Augenblick nichts verweigern würde. Aber er riß sie nicht an sich. Er begehrte sie so heftig, daß es beinahe schmerzte, aber er unternahm nichts. Sie sollte sich ohne Selbstvorwürfe in ihr Brautbett legen, und im Augenblick genügte es ihm zu wissen, daß er geliebt wurde. Dieses Wissen war schöner als die Erfüllung seines Verlangens. Der Augenblick verging, und sie spazierten weiter.
Am dritten Tag im Monat des Peritios räumte ein elimiotischer Edelmann namens Lachios sein Haus in Aiane und überließ es der Prinzessin Phila. Lachios hatte den zweiten Reiterangriff geben die Makedonier geführt, aber inzwischen empfand er große Bewunderung für Philipp, der ihn als Freund betrachtete und ihm sein Vertrauen schenkte. Lachios zog zu seinem Schwager, der sich zwar darüber wunderte, aber damit einverstanden war, als er erfuhr, daß es des Königs Wille sei; die Prinzessin Phila schlief in dieser Nacht keine zwei Gehminuten von dem Palast entfernt, in dem sie fast ihr ganzes Leben verbracht hatte.
Am folgenden Morgen traf eine Abordnung des königlichen Hauspersonals unter Führung des Haushofmeisters ein, um die Küche zu übernehmen und die Empfangszimmer vorzubereiten. Nachmittags rief Philipp hundert seiner Edelleute zu sich in Lachios’ Haus, und nachdem sie mit Wein und Sesamkuchen bewirtet worden waren, trat der König mit einer Frau an der Hand vor sie. Die Frau trug eine knöchellange Tunika, ihr Gesicht war verschleiert.
»Es ist mein Wunsch, die Prinzessin Phila, eine Tochter aus dem vorherigen Königshaus, zur Frau zu nehmen. Willst du mich zum Mann nehmen, meine Prinzessin?«
»Ich will dich zum Mann nehmen, mein König.«
»Dann gebe ich hiermit unsere Verlobung bekannt und tue sie kund allen Männern.« ; Abgesehen davon, daß Phila keinen männlichen Verwandten hatte, der für sie sprechen konnte, entsprach alles dem überlieferten Brauch. Trotzdem waren die Gäste so überrascht, daß sie schwiegen, bis jemand vom hinteren Teil des Saals rief: »Mögen die Götter diese Ehe mit vielen Söhnen segnen!« Lachios stand grinsend in
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