Der Makedonier
Sicht.
Ein Reiter, den Perdikkas als Elpenor erkannte, den Hauptmann der Wache, ein Offizier, der alt genug war, um unter König Amyntas gekämpft zu haben, und der bei Alexandros in hohem Ansehen gestanden hatte, kam auf ihn zugeritten und verspritzte dabei so heftig Schlamm, daß Perdikkas’ Pferd scheute.
»Bitte Bericht erstatten zu dürfen, mein König. Die Späher melden die Anwesenheit feindlicher Truppen weiter oben im Tal, vermutlich eine Vorauspatrouille.«
»Hat einer von ihnen wirklich einen Illyrer gesehen?«
»Nein, mein König, aber sie haben frischen Pferdekot gefunden, und sie behaupten, sie würden etwas spüren…«
»Etwas spüren?« Der König aller Makedonier gestattete sich ein kurzes, freudloses Auflachen. »Ein Pferd kann jeder reiten, und die Illyrer haben keinen Grund zur Annahme, daß sich im Umkreis von zehn Tagesritten eine feindliche Armee befindet. Würdest du bei diesem Wetter nach einer Geisterarmee Ausschau halten? Dieser Regen hält die Männer zum Narren. Wahrscheinlich lassen sie sich von Schatten Angst einjagen.«
Elpenor runzelte die Stirn und zerrte an seinen Zügeln, als hätte er Mühe, sein Pferd zu bändigen.
»Mein König, das sind gute Männer, erfahrene Männer. Wenn sie glauben, daß der Feind in der Nähe ist, dann sollte man das ernst nehmen.«
Perdikkas seufzte gereizt. »Also gut. Was schlägst du vor?«
»Ich würde vorschlagen, mein König, daß wir verstärkt Spähtrupps ausschicken. Wenn die Illyrer wissen, daß wir hier sind, und uns in unserer langgezogenen Marschordnung auf der Straße überraschen, dann sieht es sehr schlecht für uns aus.«
»Dann laß die Patrouillen verdoppeln. Sollen die Männer ihren Willen haben.«
Aber nach zwei Tagen, in denen es keinen Augenblick aufgehört hatte zu regnen, konnten die Späher keine weitere Feindberührung melden.
»Ich habe dir doch gesagt, daß es nur Schatten waren«, sagte Perdikkas mit einem Kopfnicken zu Elpenor während einer Offiziersbesprechung im Zelt des Königs. Es war sehr eng, und der Geruch nach feuchter Wolle und ungewaschenen Leibern raubte einem den Atem, aber wenigstens mußte man nicht schreien, um sich im beständigen Prasseln des Regens verständlich zu machen.
Aber Elpenor schüttelte nur mit besorgter Miene den Kopf. »Mein König, in diesen Bergen gibt es eine Unzahl versteckter Täler, die eine Armee von zehntausend Mann aufnehmen können. Für die Illyrer ist das vertrautes Gelände, aber für uns nicht, und sie wissen, wo sie sich verstecken können.«
»Aber sie würden doch Patrouillen ausschicken und ebenso angestrengt nach uns suchen wie wir nach ihnen«, erwiderte Toxaechmes, ein junger, gutaussehender und freundlicher Offizier, der schon bei Amphipolis unter Perdikkas gedient hatte und bei seinem Herrn in hohem Ansehen stand. »Und Reiter können nicht in großer Zahl das Gelände durchstreifen, ohne Spuren zu hinterlassen.«
Elpenor brachte ein dünnes Lächeln zustande, als wäreer eben von einem kleinen Kind unterbrochen worden.»Wenn der Boden so naß ist wie im Augenblick, hält sich ein Hufabdruck nicht länger als eine Stunde.
Was ich sagen wollte, mein König«, fuhr er dann, an Perdikkas gewandt, fort, »ist, daß wir einfach nicht wissen, ob die Illyrer uns beobachten. Da es aber sehr gut möglich ist, sollten wir uns meiner Ansicht nach so verhalten, als würden sie es tun. Ansonsten fordern wir unseren eigenen Untergang heraus.« Perdikkas blickte auf.
»Ich glaube, der Regen läßt nach«, sagte er, als gäbe es kein anderes Gesprächsthema. Einen Augenblick hörten sie alle schweigend zu, wie die Tropfen auf das Zeltdach prasselten. »Ja, ich bin ziemlich sicher, daß er nicht mehr so heftig ist wie noch vor einer Viertelstunde. Vielleicht haben wir jetzt ein paar Tage schönes Wetter vor uns.«
»Dann sollten wir das Beste daraus machen«, sagte Toxaechmes, offensichtlich hocherfreut über seinen Einfall. Einige andere nickten zustimmend. »Mit ein wenig Glück können wir in zehn Tagen schon über die Berge und im Norden von Molossis sein.«
»Es ist wohl kaum der richtige Augenblick, um an einen schnellen Vorstoß über die Berge zu denken«, keifte Elpenor wütend. »Die Männer sind erschöpft, sie haben weder die Kraft für eine Schlacht noch für einen Gewaltmarsch über die Berge. Wir sollten uns eine gute Verteidigungsstellung suchen, uns dort verschanzen und die Augen offenhalten.«
Dieser Vorschlag wurde nicht sehr freundlich
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