Der Makedonier
und es sah fast aus, als bemitleide er ihn.
»Ich würde vorschlagen, daß wir uns heute abend sehr betrinken.«
»Ich glaube, das ist ein ausgezeichneter Vorschlag.«
33
DIE SCHNEESCHMELZE MACHTE das Leben zur Qual. Nichts blieb trocken, und an manchem Morgen wachte man auf und mußte feststellen, daß das Wasser, das während des ganzen vergangenen Tages in die Stiefel eingedrungen war, zu Eis erstarrt war. Hier und dort sah man Frostbeulen an den Füßen der Männer, aber die Gefahr, sich einen schwarzen Zeh zu holen, war nichts im Vergleich zu dem übrigen Elend. Und jetzt fingen auch noch die Vorräte an zu faulen. Die Bedingungen waren so schlimm, daß die Soldaten nicht einmal mehr murrten. Ein bedrücktes Schweigen hatte sich über Perdikkas’ Armee gelegt, und er wußte, auch wenn es niemand aussprach, daß sie ihm die Schuld für ihr Leiden gaben.
Er hatte vorgehabt, entlang der Route, die Philipp in seinen Briefen vorgeschlagen hatte, einen blitzschnellen Vorstoß in den Süden zu machen, solange der Boden noch gefroren war, um dann die Illyrer in ihrem Winterlager zu überraschen. Und der Plan wäre wohl auch aufgegangen, wäre da nicht das früh einsetzende Tauwetter gewesen, das die Wege in Schlamm verwandelte. Schmelzwasser stürzte über die Bergflanken in die Seentäler westlich des Pisoderipasses, die sie eben durchquerten. Jeder Schritt in dem tiefen, schweren Schlamm war eine Qual, und die Armee kam kaum noch vorwärts. Sollte am Ende diese Mühsal mit einem Sieg belohnt werden und Bardylis’ gesamtes Reich ihnen zu Füßen liegen, wäre das nur eine armselige Entschädigung für all das, was sie hatten durchleiden müssen.
Und an diesem Morgen hatte es, kurz vor Sonnenaufgang, auch noch zu regnen begonnen.
Perdikkas wurde vom Prasseln des Regens auf den Lederwänden seines Zeltes geweckt. Die Tropfen waren groß wie Weintrauben und zerplatzten mit einem lauten Knall, w enn sie auf etwas Festes trafen. Perdikkas schaute hinaus und sah die Lagerfeuer im Regen zischen und rauchen – es war nicht sehr wahrscheinlich, daß ein kaltes, vom Regen durchtränktes Frühstück die Laune der Soldaten besserte.
Sie lagerten am Ufer eines großen Sees, der auf keiner Landkarte verzeichnet war. Wenn man an der Wasserlinie stand, konnte man fast bis zum Horizont sehen, nur die Berge erhoben sich als undeutliche, nebelverhangene Schemen am anderen Ufer. Jetzt, da Regen auf die Wasseroberfläche prasselte, schien der See zu brodeln und zu dampfen wie ein riesiger Suppenkessel. Es war eine gespenstische Landschaft, ein Ort, der nur geschaffen schien zur Läuterung sündiger Seelen.
Ein Offizier kam herbeigelaufen – weniger erpicht darauf, so mochte man annehmen, Befehle zu empfangen, als einen Augenblick im Trockenen verbringen zu können -und grüßte seinen König im Schutz des Zeltvordachs.
»Gib ihnen noch eine halbe Stunde, und laß sie dann den Aufbruch vorbereiten«, sagte Perdikkas. »Wenn es den ganzen Tag so weiterregnet, können wir ebensogut beim Marschieren naß werden wie beim Herumstehen.«
Der Mann eilte wieder davon, und Perdikkas sah angewidert zu den schweren, eisenfarbenen Wolken hoch, die über den Himmel zogen. Im Augenblick war es nur ein Schauer, aber in einer Stunde konnte daraus ein Wolkenbruch geworden sein. Er freute sich nicht gerade darauf, den Tag auf dem Rücken seines Pferdes zu verbringen, während Regenwasser in seinen Brustpanzer tropfte und seine wollene Tunika in eine nasse, juckende Abscheulichkeit verwandelte. Einen Umhang brauchte man sich erst gar nicht überzuwerfen, denn der wurde in kurzer Zeit vom Wasser so schwer wie eine Bleiweste.
Heute würden sich seine Männer durch ein Meer aus Schlamm kämpfen müssen, und wenn sie sich bei Einbruch der Nacht zu einem trostlosen, kalten Abendessenauf die nasse Erde setzten, konnten sie sich glücklich schätzen, wenn sie eine Strecke hinter sich gebracht hatten, die sie bei gutem Wetter in zwei Stunden schafften. Ob für einen Küchengehilfen oder für einen König, das Soldatenleben war immer eine Qual.
Zur Mittagszeit regnete es so heftig, daß die Stimme eines Mannes kaum fünfzig Schritt weit zu hören war. Perdikkas mußte sich immer wieder das Wasser aus den Augen wischen, um etwas zu sehen, aber das nützte kaum etwas, da die gesamte illyrische Armee ihm näher hätte sein können als sein Fahnenträger, ohne daß er sie bemerkt hätte. Der Regen hüllte ihn ein und nahm ihm fast völlig die
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