Der Makedonier
vertan, zu einer Liebe für ihren Sohn zu finden, die nicht befleckt war vom Haß auf ihren Gatten.
Vielleicht würde Philipp ihr am Ende noch Schlimmeres antun.
»Eigentlich sollte ich bei den Wettkämpfen mitmachen«, bemerkte Perdikkas mürrisch, ohne sie anzusehen. »Und das würde ich auch, wenn du mich nicht abgehalten hättest.«
Eurydike sah ihren zweiten Sohn an, der rechts von ihr aß. Sie lächelte, denn sie liebte Perdikkas, wie eine Mutter eben das schwächste ihrer Kinder liebt. Perdikkas war ein kluger Junge und trotzdem ein Narr, wie einer, der etwas glauben kann, von dem er weiß, daß es falsch ist.
»Bei was hättest du denn mitgemacht?« fragte sie. »Zum Athleten hast du kein Talent.«
»Ich bin so gut wie jeder andere.«
Er runzelte die Stirn, ohne jedoch den Blick von den Speerwerfern zu nehmen. Er runzelte die Stirn, weil er wußte, daß es ihm an körperlicher Geschicklichkeit fehlte, es aber nicht zugeben wollte, vielleicht nicht einmal vor sich selbst.
»Du bist noch jung, und sportliches Können ist auch eine Frage der Erfahrung.«
Im Grunde wußten beide, daß sie ihm von einer Teilnahme abgeraten hatte, damit er sich nicht zum Gespött machte. Es war nicht die Zeit, sich von Alexandros und seinen Freunden auslachen zu lassen.
»Das sind die Bestattungsspiele deines Vaters«, sagte sie. »Manchmal ist es am besten, Fassung und Würde zu bewahren.«
Perdikkas wollte etwas erwidern, überlegte es sich dann aber besser. Um ihn zu schonen, wandte Eurydike ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf dem Spielfeld zu.
Jeder der Konkurrenten hatte drei seiner fünf Würfe hinter sich, und es war bereits klar, daß zwei Männer den Wettkampf unter sich ausmachen würden. Ptolemaios gehörte nicht zu den beiden, obwohl seine drei Speere sich in respektabler Nähe zu denen der ersten in die Erde gebohrt hatten.
Er saß auf dem Boden, den Speer quer auf den Knien, und wartete auf seinen vierten Wurf. Einer der Männer wandte sich ihm zu und sagte etwas, was ihn den Kopf zurückwerfen und auflachen ließ, und sein Bart glänztedabei im Sonnenlicht wie poliertes Eisen. Zwar sprenkelte ein wenig Grau die satte Schwärze – Eurydike stockte der Atem, wenn sie an seinen Bart auf ihrer Haut dachte –, doch ansonsten hatte er noch immer das Aussehen und die Haltung eines jungen Mannes.
Obwohl sie sich bemühte, ein ausdrucksloses Gesicht zu wahren, spürte Eurydike in ihren Eingeweiden ein Feuer lodern. Es überraschte sie immer wieder, ja, es ängstigte sie sogar ein wenig, daß allein schon der Anblick dieses Mannes eine solche Macht auf sie ausübte. Es war wohl so, daß die Götter eine Liebe wie diese nur jenen gewährten, die sie zu zerstören trachteten. Eines Tages würde sie sterben oder den Tod herbeisehnen, wegen einer Torheit, in die ihre Leidenschaft sie getrieben hatte, dessen war sie sicher, denn ganz blind hatte die Liebe sie noch nicht gemacht. Sie wußte, was für einen Mann sie da liebte, einen skrupellosen und gefährlichen, einen, der maßlos nach der Macht gierte, die er in ihrer ganzen Fülle doch nie erreichen konnte, einen Mann, dem ein schlimmes Ende bestimmt war. Und sie wußte, daß er ihre Liebe nicht erwiderte, daß er sie nur benutzte als Werkzeug seines Ehrgeizes. Das alles wußte sie, und sie konnte doch nichts dagegen tun. So groß war der Haß der Götter, daß sie sie deutlich die Vernichtung erkennen ließen, in die sie sich stürzte.
Aber was war das alles im Vergleich zu seinem Anblick, dem Druck seiner Arme, dem Geruch seines warmen Fleisches? Auch am Ende, das wußte sie, würde sie nicht fähig sein, irgend etwas zu bereuen, welche Schrecken und welches Leid dieses Ende auch bereithalten mochte.
Ptolemaios konnte mit seinen letzten beiden Versuchen den Ausgang des Wettbewerbs nicht mehr beeinflussen, und der Sieger wurde Craterus, der älteste Sohn von Antipatros, dem Herrscher der Edonoi. Da Ptolemaioswußte, wie er sich in einer solchen Situation zu verhalten hatte, umarmte er Craterus und gratulierte dem Vater zu den Fähigkeiten seines Sohnes – Ptolemaios war ein Mann, der sich Freunde schaffte, wo immer er konnte. Dann ging er zur Ehrenloge und setzte sich Eurydike zu Füßen, um allen, die es sehen wollten, zu zeigen, wessen Gunst er gefunden hatte und welch hohen Rang er unter den Argeaden einnahm.
»Das ist ein Sport für Jungen«, sagte er zu niemandem im besonderen. »In meiner Jugend war ich unschlagbar, aber die Kraft läßt nach.
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