Der Makedonier
sagte er mit einem Anflug kalter Verachtung in der Stimme. »Du hast geglaubt, ich habe dir die Rückkehr nach Hause nur angeboten, um dich ermorden zu lassen.«
Als Arrhidaios nichts erwiderte, schüttelte Philipp den Kopf.
»Es ist niemand hier außer uns beiden«, fuhr er fort. »In einem solchen Augenblick habe ich keinen Grund zu lügen. Ich schwöre dir, ich hatte nie eine solche Absicht.«
»Du hast zwar keinen Grund zu lügen, aber du hast auch keinen Grund, die Wahrheit zu sagen.«
Arrhidaios zeigte seinem Bruder ein verkniffenes Lächeln, als wollte er damit verdeutlichen, wie unüberbrückbar die Kluft zwischen ihnen war. Nein, im Leben würden sie nichts mehr gemeinsam haben, eine Verständigung war nicht mehr möglich.
»Aber eins könntest du mir noch sagen«, bemerkte Philipp, nachdem er eingesehen hatte, daß er gegen dieseEntfremdung nichts mehr unternehmen konnte. »Und das sind die Namen der Männer in Athen, die dich zu dieser Torheit verleitet haben.«
»Warum willst du die wissen?« fragte Arrhidaios mit offensichtlichem Erstaunen in der Stimme.
»Damit ich dich eines Tages rächen kann.«
41
DER SIEG ÜBER Arrhidaios und seine Söldner war ein neuer Anfang für die makedonische Armee. So unbedeutend er in rein militärischer Hinsicht auch gewesen sein mochte, machte er doch Perdikkas’ Niederlage gegen die Illyrer wett. Am Tag vor der Schlacht bei Aigai konnte sich niemand vorstellen, daß der Zusammenbruch Makedoniens noch abgewendet werden könnte. Am Tag danach gab es kaum einen Mann unter Waffen, der nicht fest an den Endsieg glaubte. Sie fühlten sich bereit für jede Prüfung.
Das Ausschlaggebende, so glaubten sie, war Philipp. Er war unbesiegbar. Er konnte in die Herzen seiner Feinde sehen. Die Männer, die mit ihm in Elimeia und in dem Feldzug gegen Aias gekämpft hatten, erzählten sagenhafte Geschichten über ihn. Was er verteidigte, war uneinnehmbar. Was er angriff, war dem Untergang geweiht. Sogar die elimiotischen Reiter, die vor den Mauern von Aiane noch gegen ihn gekämpft hatten, prahlten schamlos mit seinem Genie und seinem Mut. Es schien, als wäre eine Niederlage gegen Philipp von Makedonien fast so ehrenvoll wie ein Sieg.
Aber für den Gegenstand all dieses Lobes waren die Tage nach dem Sieg voll Bitterkeit, denn Philipp mußte sich vor die makedonische Versammlung stellen und seineneigenen Bruder des Verrats anklagen. Er mußte zusehen, wie dieser Bruder sofort nach Verkündung des Urteils in einem Hagel von Speeren umkam. Er mußte zusehen, wie die Leiche des Schuldigen gekreuzigt wurde, damit die Krähen ihn auffraßen und seine Seele für ewig auf Erden weilen mußte, unfähig, die Grenze zum Totenreich zu überschreiten. Das waren die Pflichten, die Brauchtum und Gesetz einem König auferlegten, Pflichten, denen er sich nicht entziehen konnte. All das, da war er sich sicher, würde sein Leben auf ewig vergiften.
Das Haus der Argeaden ist verflucht, dachte er. Man muß sich nur ansehen, wie die Götter uns aus dem Leben reißen, einen nach dem anderen.
So war es beinahe eine Erleichterung, zu hören, daß Agis, der alte König der Paionier, im Sterben lag, denn der Krieg ließ keinen Raum für düstere Gedanken.
»Wir werden nach Norden marschieren, sobald wir genügend Männer zusammenhaben«, befahl er. »Nur Agis’ schlechtem Gesundheitszustand ist es zu verdanken, daß die Paionier sich bis jetzt mit unseren Tributzahlungen zufriedengegeben haben. Sobald Lyppeios auf dem Thron sitzt, wird er uns angreifen. Aussichten auf einen Sieg haben wir nur, wenn wir zuerst zuschlagen.«
Erst am Tag vor dem Aufbruch zu seiner Armee, die sich in Tyrissa versammelte, empfing er die Botschafter aus Athen. Man einigte sich sehr schnell auf einen Vertrag, in dem Philipp die Besetzung Methones unter der Bedingung akzeptierte, daß Athen aufhöre, seinen Machtbereich noch weiter nach Norden auszudehnen.
»Lassen wir ihnen doch ihre Garnisonen«, sagte Philipp, nachdem sie gegangen waren. »Im Augenblick kann ich sie nicht von dort vertreiben, und ihre Gier wird uns früher oder später sicher einen Grund geben, den Vertrag zu widerrufen. Wenigstens für den Augenblick sind Athen und Makedonien dicke Freunde, und wir wollen hoffen, daß das auch lange genug so bleibt.«
Viertausend Soldaten warteten in Tyrissa auf ihren König. Es waren Männer, die nahezu ein Jahr lang in der Art der Kriegführung gedrillt worden waren, die vor Aigai zum Erfolg geführt
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