Der Makedonier
morgen feststellen können. Es ist ziemlich sicher, daß er nicht entkommen ist – keiner ist entkommen.«
»Schickt Männer mit Fackeln auf das Schlachtfeld. Ich will wissen, ob Arrhidaios noch am Leben ist.«
Philipp sagte nicht, was er tun würde, wenn sein Bruder noch lebte. Vielleicht wußte er das selbst nicht.
Etwa zwei Stunden vor Mitternacht wurde ein verängstigter Athener mit einem sorgsam gestutzten Kinn- und Wangenbart vor den König geführt. Der Mann sah ganz und gar nicht aus wie ein Soldat.
»Er ist vom Hügel«, sagte sein Bewacher. »Er kam mit den Abzeichen eines Unterhändlers den Abhang heruntergelaufen und wollte zu dir geführt werden.«
»Ist mein Bruder am Leben?« fragte Philipp den Mann, während der sich noch verbeugte. »Sag mir das zuerst, und dann darfst du um dein Leben betteln.«
»Der Aufrührer ist in unserer Gewalt, mein erhabenster König, zusammen mit zehn oder fünfzehn Makedoniern aus seiner Gefolgschaft. Der Rest sind Söldner und einige wenige Athener wie ich selbst, friedliebende Männer, die nur als Beobachter hier waren und am Kampf nicht teilgenommen haben.«
Er wagte sogar ein unterwürfiges Lächeln, als erwarteer Dankbarkeit von Philipp, weil er am Kampf nicht teilgenommen hatte.
»Dann höre meine Bedingungen«, antwortete Philipp mit kalter, ausdrucksloser Stimme. »Mein Bruder Arrhidaios wird mir unbeschadet ausgeliefert. Der Rest von euch wird sich mir bei Tagesanbruch unterwerfen oder ihr werdet euch einem zweiten Waffengang stellen müssen, in dem ihr von mir keine Schonung erwarten dürft.«
»Aber Herr, bei den Nichtkämpfenden wirst du doch gewiß Gnade walten lassen. Mein Gebieter, gewiß wirst…«
Dem Mann erstarben die Worte im Mund, als er Philipp ins Gesicht sah.
»Du hast Zeit bis zum Tagesanbruch.« Philipp bedeutete dem Wachposten, er solle den Gefangenen wegführen. »Ich würde vorschlagen, daß du dich beeilst, denn ihr habt nur sehr wenig Zeit, euch zu entscheiden.«
Philipp fand nur wenig Schlaf in dieser Nacht, und dann quälten ihn Träume. Irgendwann schrak er hoch, doch er konnte sich nicht an das eben Geträumte erinnern, es hatte keine Spur in ihm hinterlassen außer einer unbestimmten Angst, die nur sehr langsam wich. Als er eine Lampe anzündete, sah er Blut an seinen Fingern; er hatte sich die Wunde an seinem Arm aufgerissen.
Der Arzt wurde gerufen, und er nähte die Wunde mit einer Segelmachernadel und einem Haar aus dem Schwanz des königlichen Pferdes. Diesmal war Philipp fast dankbar für den Schmerz, denn er merkte, daß unter den Stichen sein Kopf wieder klar wurde.
Bei Tagesanbruch sah er, daß die Überreste von Arrhidaios’ Streitmacht sich ergeben hatten und am Fuß des Hügels, der ihre letzte Zuflucht gewesen war, auf ihn warteten. Etwa zehn oder zwölf Makedonier hatten sich gegenseitig die Kehlen durchgeschnitten, um der Strafe für ihren Verrat zu entgehen, aber Arrhidaios selbst war n och am Leben. Man hatte ihm die Hände hinter den Rücken gefesselt, vielleicht um ihn vom Selbstmord abzuhalten.
Die Söldner waren zu stolz, um Gnade zu erbetteln, vermutlich erwarteten sie auch keine, aber die Athener warfen sich in den Staub, sobald sie Philipp erblickten.
»Steht auf«, sagte Philipp mit einem Abscheu, den er weder verbergen konnte noch wollte. »Das schickt sich nicht. Steht auf! Nehmt eure Nasen aus dem Staub!«
Widerwillig, als gäben sie den taktischen Vorteil ihrer Erniedrigung nicht gerne auf, drückten die Gefangenen sich zuerst mit den Armen hoch, und als sie dann merkten, daß auch eine kniende Haltung unerwünscht war, standen sie ganz auf. Nach einem flüchtigen Blickwechsel trat einer von ihnen vor. Es war der Mann, mit dem Philipp auch schon in der vergangenen Nacht gesprochen hatte.
»Bitte sei so gütig, das Lösegeld anzunehmen, das unsere Familien und die Versammlung dir für unsere Freilassung anbieten werden«, sagte er und wagte kaum aufzusehen, so als würde der Blick des makedonischen Königs ihn zu Asche verbrennen, wenn er dem seinen begegnete. »Wir sind alle wohlhabende Männer, und unsere…«
»Man wird euch mit Pferden versorgen und nach Methone zurückbegleiten«, unterbrach ihn Philipp. »Ich werde kein Lösegeld für euer Leben annehmen, und ihr könnt eurer Versammlung berichten, daß Philipp von Makedonien nichts anderes wünscht als Frieden mit Athen und mit Freuden Botschafter empfangen wird, die mit dem Angebot der Freundschaft zu ihm kommen. Diesen Streit
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