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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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den Blick heben.
    »Ich war bereits dabei, Truppen auszuheben, als ich die Nachricht erhielt, daß du die Grenze überschritten hast«, sagte er, beinahe so, als wollte er damit prahlen. Vielleicht wollte er das wirklich.
    »Ich weiß. Sonst hättest du keine so große Armee ins Feld schicken können.«
    »Viel geholfen hat sie mir nicht.«
    »Die Kriegführung hat sich verändert«, sagte Philipp mit dem höflichen Achselzucken eines Mannes, der eine allgemeingültige Feststellung macht. »Die Größe ist nicht mehr so wichtig. Das habe ich als Geisel in Theben gelernt.«
    Einen Augenblick lang sahen sich die beiden Könige schweigend an, und Philipp fühlte sich plötzlich sehr alt und müde. Er war erst dreiundzwanzig und Lyppeios höchstens ein oder zwei Jahre jünger als er, aber die Kluft zwischen ihnen schien unüberbrückbar. Es war nicht das Alter, das sie trennte, und auch nicht der Unterschied an Erfahrung, es lag einfach daran, daß Lyppeios noch wirkte wie ein kleiner Junge. Er hatte etwas Unschuldiges an sich. Philipp glaubte nicht, daß er selbst je auf diese Art jung gewesen war.
    Doch dieser Augenblick ging vorüber, und Lyppeios zog so heftig an den Zügeln, daß sein Pferd einen Schritt zurückwich.
    »Ich nehme deine Bedingungen an«, sagte er, »weil ich keine andere Wahl habe. Morgen wird ein Bevollmächtigter in dein Lager kommen, um die Einzelheiten auszuarbeiten.«
    Philipp sah ihm nach, und plötzlich merkte er, daß er den König der Paionier fast beneidete. »Du hast einen Schlag eingesteckt«, dachte er. »Aber morgen wirst du noch am Leben sein, und in einem Jahr wirst du dich kaum noch daran erinnern. Mich hätte eine solche Niederlage vernichtet.«

42
     
     
    MITTEN IM HEFTIGSTEN Schneesturm überschritten Philipp und seine Armee die Grenze nach Makedonien. So war es ein großer Zufall, daß der lynkestische Kundschafter nicht einfach an ihnen vorbeiritt.
    »König Menelaos ist nur wenige Stunden hinter mir«, sagte der Bote. »Seine Eskorte zählt weniger als zwanzig Mann, und er bittet um eine Unterredung mit dir, mein König.«
    »Nun gut, aber nicht hier«, antwortete Philipp und deutete auf den Schnee, der sie umwehte wie Rauch. »Wenige Stunden im Süden liegt eine Stadt, wo meine Soldaten endlich einmal wieder im Warmen schlafen können. Ich werde meinen Onkel dort erwarten.«
    »Ich hoffe nur, daß er die Stadt auch findet«, sagte der Kundschafter kopfschüttelnd. Er sah ziemlich empört aus, als Philipp lachte.
    »Menelaos kennt den Weg ganz sicher«, sagte er. »Zu meines Vaters Zeiten hat er den Ort einmal überfallen.«
    Und so kam es, daß sieben Stunden später, im Haus eines ortsansässigen Edelmannes von zweifelhafter Treue – der Mann wußte nicht, vor wem er sich tiefer verbeugen sollte, vor seinem König oder vor dem von Lynkestis –, Philipp und sein Onkel vor dem Feuer saßen, Wein tranken, der nur mit zwei Teilen Wasser vermischt war, und so taten, als träfen sich nur zwei Verwandte und nicht zwei Herrscher, die eine lange Geschichte der Rivalität und des Mißtrauens hinter sich hatten.
    »Ich habe geweint, als ich hörte, was mit deiner Mutter passiert ist«, sagte Menelaos nach langem, drückendem Schweigen. »Ich habe geweint, aber überrascht war ich nicht. Schon als Kind war sie eigensinnig und aufbrausend. Als sie sieben war, hat ihr unser Vater ein Frettchen als Haustier geschenkt, und sie schien es sehr zu mögen. Doch eines Tages hat sie es dann in den Zwinger geworfen und zugesehen, wie die Hunde es zerrissen. Sie wurde deswegen ausgepeitscht, aber geweint hat sie nicht. Ich glaube, sie war immer schon ein bißchen verrückt. Und jetzt muß ihr Schatten auf Erden herumirren, für immer und ewig aus dem Totenreich ausgeschlossen.«
    »Wenigstens das muß er nicht. Bevor ihre Leiche verbrannt wurde, habe ich ihr eine Goldmünze in den Mund gesteckt, damit sie den Fährmann für die Überfahrt über den Styx bezahlen kann. Ich habe sie selbst begraben und ihr Opfergaben ins Grab gelegt.«
    Menelaos hob erstaunt die Augenbrauen. »Du hast dich einer Lästerung schuldig gemacht. Aber vielleicht ist das ein Vergehen, das die Götter verzeihen können – das Mitleid eines Sohnes kann keine große Sünde sein. Ich bin froh, daß du es mir gesagt hast.«
    Philipp sprach nicht gerne über seine Mutter, und so gab er seinem Onkel mit einer knappen, aber entschiedenen Geste zu verstehen, daß er das Thema wechseln wollte.
    »Meine Mutter ist seit über

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