Der Makedonier
tiefer, und dann nickte er knapp.
»Das genügt für die anderen – jetzt erzähl, was wirklich passiert ist.«
»Er hat versucht, mich zu töten.«
»Und statt dessen hast du ihn getötet.« Bardylis schien wirklich beeindruckt zu sein. »Du hast deine Sache sehr gut gemacht, Philipp von Makedonien, denn Zolfi war ja nun wirklich kein zahmes Lämmchen.«
»Ich habe meine Sache viel besser gemacht, als du dir jvorstellen kannst.«
Bardylis fing an zu lachen – ein atemloses, überraschtes Auflachen –, doch dann schien er sich eines Besseren zu besinnen. Einen Augenblick lang sah er aus, als hätte er begriffen.
»Ich frage lieber nicht weiter«, sagte er, »denn manchmal ist es besser, nicht in die Herzen junger Männer zu sehen, aber wenn du so schaust wie jetzt, Philipp, dann bin ich froh, daß ich alt und dem Tode nahe bin.«
Ohne ein weiteres Wort wendete er sein Pferd, und die beiden Männer ritten gemeinsam durch die Stadttore.
In dieser Nacht wurde Philipp von Alpträumen heimgesucht. In der Wachhütte, wo die Luft schwer war vom Schnarchen anderer Männer, hatte er noch friedlich geschlafen, doch jetzt erschien Zolfi, blutverschmiert und mit einem Gesicht, von dem nichts mehr übrig war als ein Kranz glänzender, zersplitterter Knochen, am Fuß seines Bettes und wollte wissen, wo Philipp die Unverschämtheit hernehme, noch zu leben.
Er wachte auf- oder genauer, er öffnete die Augen, denn der Traum schien nicht zu weichen. In der Tür stand, umflackert von Licht, der dunkle Umriß eines Menschen.
»Philipp! Philipp, schläfst du?«
Erleichterung durchströmte ihn, als er erkannte, daß es die Stimme eines Kindes war.
Audata hatte die Hand über ihre Lampe gehalten. Jetzt zog sie sie weg und beleuchtete ihr Gesicht.
»Urgroßvater sagt, daß du heute nacht hier nicht sicher bist«, sagte sie. »Komm mit mir.«
Sie kniete sich neben sein Lager, als wäre er ein Kind, das sie trösten mußte. Ihr Gesicht war ernst und auf eigentümliche Art schön.
»Wenn Gefahr besteht, dann überrascht es mich, daß der König dich mit hineinzieht«, erwiderte er, und es klang, als hätte er aus den vielen Dingen, die er ihr in diesem Augenblick hätte sagen können, das Unwichtigste ausgewählt.
Audata strich ihm zärtlich über die Haare. »Ich habe von keinem, der in diesem Haus wohnt, etwas zu befürchten, Philipp von Makedonien.« Sie stand unvermittelt auf. »Komm, sofort!«
Er ließ sich von ihr bei der Hand nehmen und auf den Gang hinausführen, wo das Tappen ihrer nackten Füße auf den Steinen das einzige Geräusch war.
Philipp wurde das Gefühl nicht los, daß er eben im Grunde seines Wesens eine Entscheidung getroffen hatte, eine Entscheidung, von der er nichts wußte, außer daß sie nichts mit Bardylis’ Angst um seine Sicherheit zu tun hatte. Falls da wirklich irgendwo in der Dunkelheit Mörder auf ihn lauerten, so dachte er kaum an sie.
Nichts schien in sein Bewußtsein zu dringen, außer der kräftige Griff dieser zarten Finger, die die seinen umschlossen.
Sie hatten nicht sehr weit zu gehen. Audata führte ihn um eine Ecke und blieb dann vor einer spaltbreit geöffneten Tür stehen. Sie bedeutete ihm, ihr in das Zimmer zu folgen, doch Philipps Aufmerksamkeit war auf einen schmalen Lichtstreifen unter einer Tür zehn oder zwölf Schritt weiter vorne gerichtet.
»Das ist das Zimmer von Urgroßvater«, flüsterte Audata. »Er schläft nicht sehr gut und läßt deshalb die ganze Nacht eine Lampe brennen. Ich glaube, es liegt daran, daß er so alt ist.«
Philipp vermutete allerdings, es lag eher daran, daß Bardylis König und klug genug war, der Dunkelheit zu mißtrauen, doch er sagte nichts. »Komm.«
Es war ein kleines Zimmer, aber für ein Kind nicht zu klein, und – es schien Audata ganz allein zu gehören, was sogar für die Urenkelin eines Königs ungewöhnlich war. Das Licht ihrer Lampe flackerte, aber Philipp glaubte auf einem Regal eine Puppe zu erkennen. Unerklärlicherweise verwirrte ihn dieser Anblick, als hätte er vergessen, daß Audata noch ein Kind war, und als wäre es ihm jetzt peinlich, daran erinnert zu werden.
Auf ihrem Bett lag eine Bärenfelldecke. Sie schlüpften darunter, und schon nach wenigen Minuten merkte er an ihrem Atem, daß sie eingeschlafen war. Einmal drehte sie sich um und kuschelte ihren Kopf an seinen Arm. Er lag lange wach, denn er spürte in sich eine merkwürdige Zufriedenheit, die er sich nicht vom Schlaf entreißen lassen wollte.
Etwa
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