Der Makedonier
Bestie… Wir haben sie getötet.« Und die Makedonier würden nicken, mit grimmigen Gesichtern und vielleicht ein bißchen argwöhnisch sein, aber doch bereit zuzugeben, daß so etwas sehr leicht passieren konnte. So oder so ähnlich würde es ablaufen.
Philipp wußte nicht, warum oder wer, aber er war sicher, daß jemand den Befehl für seine Ermordung gegeben hatte. Er konnte die Veränderung spüren: Zolfi kochte nicht mehr vor kaum unterdrücktem Haß, sondern wirkte beinahe glücklich. Der Jagdhund war endlich aus seinem Zwinger gelassen worden und hatte die Witterung aufgenommen. Philipp fragte sich nur, ob der alte Bardylis es wußte – es wirklich wußte und nicht nur vermutete, denn vermutet hatte er es ja offensichtlich –, und ob er dem Anschlag vielleicht sogar zugestimmt hatte. Irgendwie brachte er es nicht übers Herz, das zu glauben.
So diente dieser Erkundungsausflug einem doppelten Zweck, denn Zolfi mußte Gelegenheit gegeben werden, bevor er sich selbst eine schaffen konnte. Philipp wußte, daß er sich erfolgreich nur verteidigen konnte, wenn er den Ort und die Zeit selbst bestimmte.
Der Schnee auf dem Talboden war so tief, daß ein Mann zu Fuß schon nach vier- oder fünfhundert Schritt erschöpft gewesen wäre, doch die Pferde hatten damit kaum Probleme, und ihre schlanken Beine durchstießen mit scheinbar müheloser Anmut die unberührte Weiße. So gedämpft war die Berührung ihrer Hufe mit der gefrorenen Erde, daß man meinen konnte, der Schnee gebe den Tieren Auftrieb, und die Ebene sei ein ausgedehntes, schäumendes Meer, in dem sie schwammen wie Delphine. Philipp hatte sich noch nie so lebendig gefühlt, und seine Seele war erfüllt von einer Freude, die die Angst auslöschte. Über lange Strecken verlor er jedes Gefühl für Zeit und Raum, ja sogar für seine Sterblichkeit. Und wenn er sich schließlich wieder daran erinnerte, dann wie jemand, der sich an die verblassenden Schrecken eines Alptraums erinnert.
Die Nacht verbrachten sie in einer Steinhütte, etwa eine Stunde unter dem Gipfel des westlichen Gebirgszugs, wo sie sich mit sechs der Männer, die den schmalen Zugang zum Tal bewachten, die Wärme eines Kohlenbeckens teilten. In ihrer Mitte war er sicher, das wußte Philipp, docher wußte auch, daß der Sonnenaufgang das Ende der Sicherheit, vielleicht sogar seines Lebens bedeuten würde.
Er konnte nicht sagen, was das Morgen bringen würde, er mußte abwarten und auf alles gefaßt sein. Es war unmöglich, etwas zu planen, denn es war unmöglich vorherzusagen, wie der Tod kommen würde, und doch drehten sich seine Gedanken immer nur um dieses eine Thema. Aber das war immer noch besser als der schwarzen, formlosen Angst nachzugeben, die knapp unter der Oberfläche lauerte.
Am nächsten Morgen, als die Dämmerung noch nicht mehr als ein blaßrosa Streifen am östlichen Horizont war, teilten sie miteinander ein Soldatenfrühstück, zu dem Philipp zwei Laib Brot beisteuerte, die erst einen Tag alt waren, und einen Krug einfachen roten Weins, in dem noch Stückchen von Traubenschalen schwammen. Die Wachen waren alle schon über einen Monat hier und sollten demnächst abgelöst werden. Sie sprachen über ihr Zuhause, als läge das auf einem anderen Kontinent und nicht nur auf der anderen Seite des Tals – aber vielleichtmachte genau das es um so schlimmer für sie.
»Wenn ich ein großer Prinz wäre, würde ich nicht weiter als bis zum nächsten Weinhändler gehen«, sagte einer von ihnen. »Ich würde im Winter nicht in diesen Bergen herumklettern.« Die anderen murmelten ihre Zustimmung. »Ja, weise ist der Mann, der es vorzieht, zu Hause zu bleiben.«
»Und betrunken auf dem Bauch einer Hure zu liegen.« Alle lachten bis auf Zolfi, der aussah, als hätte er es garnicht gehört.
»Was bringt einen Prinzen dazu, hierherauf kommen zu wollen?« fragte der erste Mann, und seine Frage klang fast wie ein Vorwurf.
Philipp lächelte, obwohl die Angst in seinen Eingeweiden rumorte.
»Ich bin noch zu jung für die Huren«, sagte er.
Die anderen lachten noch einmal.
Sobald es hell genug war, nahm Philipp den steilen Trampelpfad in Angriff, der zum Rücken des Gebirgszugs führte. Zolfi folgte schweigend in fünfzehn oder zwanzig Schritt Abstand. Die Pferde hatten sie bei der Hütte gelassen, denn der Pfad war schmal, und der Frost hatte gefährlich viel Gestein gelöst. Der Anstieg war anstrengend, aber ohne besondere Schwierigkeiten, und sie waren beide gut ausgeruht und kräftig.
Weitere Kostenlose Bücher