Der Makedonier
hinüber und merkte dabei, daß der Wein ein Fehler gewesen war, denn er war sehr müde. »Wenn wir ihn überraschen, bevor irgendein Idiot die Nachricht von meiner Rückkehr in eine Meldetasche steckt, kann ich mir nicht vorstellen, daß sein Leugnen sehr überzeugend sein wird.«
»Und dann?«
»Und dann wird Alexandros ihn töten«, entgegnete Philipp und mußte sich sehr beherrschen, um nicht hinzuzufügen: Oder ich werde es selbst tun.
Perdikkas hatte sich nicht wieder gesetzt, und als Philipp zu ihm hochsah, wandte er sofort die Augen ab.
»Alexandros wird nicht glauben, daß er schuldig ist. Auch ich glaube nicht, daß er schuldig ist. Und ich will mit dieser Sache nichts zu tun haben.«
»Warum? Weil du Angst hast, daß er, sollte ich recht haben, sich an dir rächt?«
Das Schweigen, das folgte, bestätigte die Wahrheit dessen, was Philipp halb im Spaß gesagt hatte.
Und vielleicht, dachte Philipp, hat Perdikkas sogar recht, wenn er sich weigert. Schließlich war Perdikkas der Erbe. Vielleicht war es das beste, wenn er sich in diese Geschichte nicht mit hineinziehen ließ.
»Was willst du tun?« fragte Perdikkas nach einer Weile. Seine Augen hatten einen fast flehenden Ausdruck angenommen.
»Tun?«
Die Götter beschützen dein Leben, weil sie etwas Besonderes mit dir vorhaben. Philipp lächelte bei der Erinnerung an diesen Satz, denn Glaukon war nichts anderes als ein einfältiger alter Narr, wenn er einen solchen Unsinn glaubte. Doch vielleicht war es notwendig, sich so zu verhalten, als würde es stimmen.
»Tun? Ich werde zu unserem Bruder Alexandros gehen. Und ich werde dem König von Makedonien sagen, daß er eine Schlange an seinem Busen nährt.«
Der Krieg in Thessalien wurde nun auf der Ebene der Diplomatie geführt. Die Diplomatie aber war in den Augen des Königs von Makedonien die Beschäftigung von Feiglingen, eine Methode, Schlachten zu verlieren, ohne sich die Mühe machen zu müssen, sie auch zu schlagen. Soweit wie möglich hielt er sich deshalb den eigentlichen Verhandlungen fern, und es kam ihm nicht in den Sinn, es als Beleidigung aufzufassen, daß sie auch ohne ihn Fortschritte machten.
Was er jedoch nicht von sich fernhalten konnte, war der nagende Verdacht, daß er irgendwie eine Schwäche gezeigt hatte, daß ihm die Herrschaft entglitt und daß er und alles, was ihm am Herzen lag, langsam immer unwichtiger wurden. Das erregte in ihm sowohl Zorn wie Angst, und an beiden Gefühlen gab er Pelopidas von Theben die Schuld.
Nichts ergab mehr einen Sinn. Nichts war mehr so, wie es sein sollte, doch außer ihm schien das niemand zu bemerken oder sich deswegen Sorgen zu machen. Angeblich war Pelopidas doch ein großer Held, aber wie es aussah, interessierte er sich für nichts anderes als für Verbotslisten und Weizenerträge. Alexandros war mehr als enttäuscht, während Pelopidas ihn wirklich zu mögen schien und ihn mit einer Mischung aus Interesse und Nachsicht behandelte, wie man sie in der Beziehung zwischen einem erwachsenen Mann und seinem jugendlichen Neffen finden mochte. Es war zum Verrücktwerden.
Jeden Abend kam Prinz Ptolemaios, der sich am Verhandlungstisch durchaus wohl zu fühlen schien, in Alexandros’ Zelt und berichtete, wie die Dinge sich entwickelten. Der König hörte geduldig zu, nickte, wenn ein Zeichen der Zustimmung von ihm verlangt wurde, und fragte sich dabei insgeheim: Wo bleibt bei diesen Dingen denn der Ruhm?
Er fragte es sich nur insgeheim, denn er war von Ptolemaios abhängig geworden und wollte nicht seinen Zorn auf sich ziehen.
»Müssen die Geiseln wirklich sein?« fragte er, als die Bedingungen ihrer Kapitulation vor Theben schon so gut wie ausgehandelt waren.
»Ja, mein König.« Ptolemaios nickte ernst, denn sein eigener Sohn sollte eine der Geiseln sein. »Daß Geiseln und Tributzahlungen verlangt werden würden, wußten wir von Anfang an. Die Frage war nur, wieviel von beiden Pelopidas fordern würde.«
»Aber diesmal doch nicht Philipp, oder? Mein Gewissen plagt mich wegen Philipp, und ich will ihn nicht noch einmal fortschicken, wenn er von den Illyrern zurückkehrt.«
»Philipp wurde mit keinem Wort erwähnt. Ich glaube, ich kann dir versichern, daß Philipp nicht unter denen sein wird, die in den Süden ziehen.«
Als Ptolemaios das sagte, war ein Blick in seinen Augen, fast wie der eines Mannes, der seine Rache genommen hat. Aber wie konnte das sein? Alexandros hätte den Blick vermutlich wieder vergessen, wenn
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