Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
Vom Netzwerk:
als wüßte er nicht genau, ob er nun beleidigt oder erheitert sein sollte. Keiner der beiden Männer rührte sich. Es hätte alles passieren können. Doch dann warf der König von Makedonien den Kopf zurück und begann zu lachen.
    »Schön gesagt, kleiner Bruder«, keuchte er, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. Er legte Philipp den Arm um die Schultern, und es sah aus, als wäre der ganze Streit vergessen. »Ich frage mich, ob du morgen auch so geradeheraus sein wirst, wenn du dem berühmtesten Feldherrn der Welt gegenüberstehst…«
     
    Prinz Ptolemaios war unter den Zuschauern, als Philipp Pelopidas vorgestellt wurde. Die Begegnung fand im Lager der Thebaner statt, das der König und seine Ehrengarde einige Stunden nach Sonnenaufgang erreichten. Wie immer, wenn der König von Makedonien ihn mit einem Besuch beehrte, wartete Pelopidas allein, die Händehinter dem Rücken verschränkt, am Tor. Er verbeugte sich nicht vor Alexandros – kein Mensch würde eine derartige Ehrenbezeugung von einem solchen Mann erwarten, dessen Macht vermutlich größer war als die jedes Königs –, aber er trat einen Schritt vor und hielt die Zügel von Alexandros’ Pferd, als dieser abstieg. Dann umarmten sie sich wie Vater und Sohn, und Alexandros führte ihn durch die Reihen seiner Gefolgsleute zu Philipp.
    »Es ist mir eine große Freude, dir den jüngsten Sohn meines Vaters vorstellen zu dürfen«, sagte Alexandros und legte seinem Bruder den Arm um die Schultern. »Mein Bruder Philipp, der eben von einem Aufenthalt bei den Illyrern zurückgekehrt ist und der, wie es sich für einen Jungen seines Alters gehört, von dort viele abenteuerliche Geschichten mitgebracht hat.«
    Alle lachten, alle bis auf Philipp und Pelopidas. Philipp konnte nur heftig erröten, und Pelopidas lächelte nicht einmal.
    »Welche Geschichten er auch erzählen mag, ich würde dir raten, ihm mit großem Ernst zuzuhören«, sagte Pelopidas schließlich. Er hatte die Angewohnheit, die Stimme zu senken, als wollte er damit höchste Aufmerksamkeit erzwingen. »Seine Augen sind voller Klugheit, und es sind nicht die Augen eines Kindes, sondern die eines Mannes. Ich glaube nicht, daß es ihm einfallen würde zu prahlen.«
    Seinen Worten folgte ein gefährliches Schweigen, denn alle Anwesenden hatten miterlebt, wie Philipp am Abend zuvor Ptolemaios beschuldigt hatte, ein Verräter zu sein, und dann sein Schwert gezogen hatte. Es wäre Blut geflossen, hätte der König seinen Bruder nicht am Arm gepackt und ihm das Schwert entrissen. Und auch in diesem Augenblick, in der Gegenwart eines so berühmten Fremden, war Philipps Blick starr auf Ptolemaios gerichtet, der spürte, wie sich seine Eingeweide verkrampften.
    Nein. Die Augen eines Kindes waren das nicht.
    Pelopidas machte einen Witz, und alle lachten, was die Spannung löste. Hatte er vielleicht erraten, was da vor sich ging? Ptolemaios hörte das Lachen kaum, denn in seiner Rüstung schwitzte er vor Angst.
    Der Junge wußte es, wußte alles. Er war zurückgekehrt aus dem Rachen des Todes, und er wußte alles. Er war gefährlicher als hundert Alexandros. Noch lachten alle über seinen Verdacht, aber am Ende würde er sich Gehör verschaffen, und dann wäre es Ptolemaios, der sein Leben verspielt hatte.
    Aber wenn Alexandros tot wäre, wäre Philipp harmlos.
    Tagsüber saß Ptolemaios mit Pelopidas’ Statthaltern zusammen, um die letzten Einzelheiten des Vertrags zwischen Makedonien und Theben auszuhandeln. Es ging um das Glätten von Unebenheiten, die sonst vielleicht die eine oder die andere Seite im Verlauf der Zeit drücken würden. Es war eine Arbeit, für die Alexandros keine Geduld hatte – und das war ein weiterer Grund, warum er ein schlechter König war.
    Am Abend gab es ein Festmahl. Pelopidas saß als Gastgeber an der Spitze der Tafel und Alexandros zu seiner Rechten. Das Erstaunliche war jedoch, daß Philipp zu seiner Linken Platz nehmen durfte, und daß der Herrscher von Theben dem jüngsten Bruder offensichtlich ebensoviel zu sagen hatte wie dem ältesten.
    Ptolemaios saß nicht nahe genug, um die Unterhaltung zu verstehen, aber doch so, daß er alles sehen konnte, und er fand ein beinahe perverses Vergnügen darin, Pelopidas’ unterschiedliches Verhalten den beiden Brüdern gegenüber zu vergleichen. Mit Alexandros war er jovial und fröhlich, voller Witz und lautem Lachen, sie sprachen kurz miteinander, wie Männer bei einer offiziellen Begrüßung, und dann wandten sie sich ab und

Weitere Kostenlose Bücher