Der Makedonier
Staat, dem Königshaus und dem König galt, und zwar in dieser Reihenfolge. Einen Mann, der zwar den Ruf seines Blutes in sich spürt, aber deswegen nicht blind ist für die schmerzliche Wahrheit. Einen Patrioten. Ja. Alles in allem genommen, schien das Ptolemaios die Rolle zu sein, die am ehesten zu ihm paßte. Doch letztendlich lag die Entscheidung natürlich beiPelopidas. Er würde zu sehen bekommen, was er sehen wollte.
Das thebanische Lager war ein Meisterwerk der Verteidigung. Die innere Befestigung bildete ein Erdwall, auf dem sich im Abstand von etwa vierzig Schritt hölzerne Türme erhoben. Diesen Wall umgaben zwei Gräben, von denen der äußere ziemlich flach war, aber bestückt mit angespitzten Pfählen, der innere jedoch erstaunlich tief. Wenn ein Mann sich nicht schon im ersten Graben den Bauch aufriß, konnte er damit rechnen, daß er bei dem Versuch, den steilen, bröckelnden Abhang des zweiten hinaufzuklettern, lebendig begraben wurde. Auch wenn Alexandros die nötigen Truppen hätte, würde er sich wohl monatelang vergeblich abmühen, eine Bresche in diese Befestigungen zu schlagen, und in dieser Zeit hätte Pelopidas ihn aufgerieben. Und diese nahezu uneinnehmbare Festung war in nur drei Tagen errichtet worden.
Aber das war typisch für die thebanische Armee, die vermutlich die beste war, die die Welt je gesehen hatte. Sie kämpfte mit beinahe übermenschlichem Mut und einer ebensolchen Schlagkraft, und sie überließ nichts dem Zufall.
Der einzige Zugang zum Lager war eine Zugbrücke, die zu einem hölzernen Tor führte. Im Inneren befanden sich ein Exerzierplatz und dahinter zahllose Reihen weißer Leinenzelte. Mitten unter ihnen, ein wenig von den anderen abgesetzt, aber kaum größer, stand eins, das von zwei Lanzenträgern bewacht wurde. Vor diesem kamen Ptolemaios und seine Eskorte zum Stehen.
Die Zeltbahn vor dem Eingang hob sich, und ein Mann trat ins Sonnenlicht. Er war etwa fünfzig und trug einen einfachen, derben Umhang, der früher einmal schwarz oder braun gewesen sein mochte. Der Mann trug nicht einmal ein Schwert, aber an seinem Auftreten merkte man, daß er das Befehlen gewohnt war. Zunächst sagteer gar nichts. Seine hellblauen Augen, die so erbarmungslos blickten wie die eines Falken, betrachteten Ptolemaios’ Gesicht mit vergnügter Neugier. »Ich bin Pelopidas«, sagte er schließlich. »Und du mußt Prinz Ptolemaios sein. Komm herein! Ich fürchte nur, ich kann dir nichts anderes anbieten als einen sehr mittel-mäßigen Wein…«
»Der König, dein Herr, legt eine ihm geziemende Liebe zum Ruhm an den Tag«, sagte Pelopidas, nachdem er seinem Gast Wein nachgeschenkt hatte. »Ich glaube allerdings, daß in diesem einen Fall etwas mehr Vorsicht noch geziemender gewesen wäre. Er erkennt doch bestimmt, daß er sich übernommen hat. – Wenn nicht, dann liegt es sicher nicht daran, daß man es ihm nicht oft genug gesagt hätte.«
Ptolemaios zuckte die Achseln und sah dem anderen direkt ins Gesicht. Mit dieser Geste hoffte er, ein gewisses Maß an Verlegenheit und Schüchternheit auszudrücken, denn es stand ihm nicht zu, Alexandros direkt zu kritisieren.
Pelopidas antwortete mit einem kurzen Auflachen, als wollte er sagen: Ja, wir sind beide Männer, die schon einiges vom Leben gesehen haben, nicht? Und wir wissen, wie Jungen sind, wenn sie zu selbstsicher werden.
Wie konnte Ptolemaios darauf anders reagieren als mit einem Stirnrunzeln und einem Ausdruck verletzten Stolzes?
»Der König hat ein großzügiges und heldenhaftes Wesen«, sagte er, und es klang, als würde er damit weniger Pelopidas als sich selbst tadeln. »Und die Aleuaden genießen schon lange den Schutz unseres Königshauses.«
Lange Zeit sah ihn Pelopidas nur schweigend mit seinen kalten, abschätzenden Augen an, und Ptolemaios beschlich ein unbehagliches Gefühl, als könnte ihm dieser Mann direkt in die Seele blicken. Du bist nicht, wie du zu sein scheinst, sagten diese Augen. Aber du hast kein Geheimnis, das ich nicht erraten kann.
»Die Aleuaden sind ein Geschlecht von Schurken«, erwiderte er schließlich mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen. »Und sie mißbrauchen die Gutmütigkeit deines Herrn. Trotzdem sollen sie Larisa behalten – zumindest für den Augenblick. Ich bin bereit, dieses Zugeständnis zu machen, weil ich den König von Makedonien bewundere und sein Freund sein möchte.«
»Mein König hat Freunde dringend nötig.« Ptolemaios erwiderte das Lächeln, denn er fühlte
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