Der Makedonier
Welt hätte denn einen größeren Anspruch auf die Liebe eines Sohnes? Eurydike vielleicht? Daran siehst du, wie schwach Blutsbande sind.«
Glaukon sah ihn an und lächelte freudlos, denn Philipp sprach immer so von seiner Mutter – wie von einer Fremden, die nichts mit ihm zu tun hatte.
»Ich habe nicht vom Blut gesprochen«, sagte er. »Du gehörst deiner Mutter, der Königin, ebensowenig, wie du Alkmene gehört hast – ebensowenig, wie du je einem einzelnen Menschen gehören wirst. Du gehörst Makedonien und den unsterblichen Göttern, die dein Leben beschützen, weil sie etwas Besonderes mit dir vorhaben. Schon in der Nacht deiner Geburt, die gesegnet war von Herakles, haben sie ihren Willen kundgetan, und seitdem hat es immer wieder Zeichen und Wunder gegeben; du weißt selbst, daß ich die Wahrheit sage. Deshalb wußte ich auch, daß du lebend aus dem Land der Illyrer zurückkommen würdest.«
Mit einem kaum merklichen Achselzucken tat Glaukon seine Einsichten in das Wunderbare ab, als könnte etwas, das sogar für einen wie ihn so offensichtlich war, gar nichts anderes sein als die Wahrheit.
»Alkmene konnte nicht sehen, daß alles in der Hand der Götter lag«, fuhr er fort, als würde er eine Schmach eingestehen. »Sie konnte es nicht sehen, weil ihre Liebe zu dir sie blind gemacht hat für alles andere, und deshalb hatte sie Angst, und deshalb hat ihre Angst sie getötet.Ihre Angst war sowohl eine Schwäche wie eine Gotteslästerung, denn sie hätte Vertrauen haben sollen in den Willen des Himmels.«
Philipp wußte nicht, ob er Glaukons Worten glauben sollte, aber sie klärten seine Gedanken. Ptolemaios fiel ihm ein, und er schämte sich, daß er seinem persönlichen Kummer nachgegeben hatte. Alexandros, sein Bruder und König, mußte gewarnt werden.
Er ging, Perdikkas zu suchen.
»Ich bin zum Erben bestimmt worden«, waren Perdikkas’ erste Worte. »Und das ist nur recht und billig, da ich der Nächstälteste bin.« Er lächelte, als wäre das ein persönlicher Triumph. Fast so, als erwartete er, daß Philipp neidisch wurde.
»Vielleicht folgst du Alexandros schneller nach, als duglaubst.«
Sie waren in Perdikkas’ Schlafkammer, die an die Gemächer seiner Mutter angrenzten, und Perdikkas war noch beim Frühstück. Gelassen ein Stück in Wein getauchtes Brot kauend, saß er da und hörte zu, während Philipp die seltsame Geschichte seiner Abenteuer im Norden erzählte. Sie schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken.
»Du bist wie eine Frau«, sagte er schließlich. »Überall siehst du Verschwörungen. Wenn dich wirklich jemand hätte töten wollen, dann doch viel eher der alte Bardylis als Prinz Ptolemaios, der dein Verwandter und Freund ist. Der Gedanke ist unsinnig.«
»Es ist nichts Unsinniges daran, daß ein König von Makedonien von einem Verwandten ermordet wird. Die Argeaden bringen sich seit Generationen gegenseitig um – das ist fast schon ein Gewohnheitsrecht.«
Aber Perdikkas starrte ihn nur böse an.
»Komm mit mir«, sagte Philipp schließlich. »Wir können noch heute morgen aufbrechen und in zwei Tagen im Lager des Königs sein. Dort gehen wir zu Ptolemaios und stellen ihn in Alexandros’ Beisein zur Rede. Dann werden wir alle die Wahrheit erfahren.«
»Du würdest ihn wirklich zur Rede stellen?« Perdikkas war so entsetzt, daß er das Frühstück von sich schob und aufstand. »Du würdest ihm vorwerfen, er habe versucht, dich zu ermorden – würdest du ihm das wirklich ins Gesicht sagen? Was, wenn er…?«
»Wenn er was? Es leugnet? Natürlich wird er es leugnen.«
»Was hat es dann für einen Sinn?« Perdikkas schrie beinahe. Aber Philipp schien für den Augenblick das Interesse verloren zu haben. Als würde ihm plötzlich bewußt, daß er Hunger hatte, griff er nach dem Fladen, von dem sein Bruder gegessen hatte, riß ein großes Stück ab und schob es sich in den Mund. Dann goß er sich Wein ein und setzte sich.
»Frühstücke zu Ende«, sagte er und wies auf den Stuhl, von dem sein Bruder aufgesprungen war. »Wir haben einen langen Ritt vor uns.«
Doch Perdikkas wiederholte nur seine Frage.
»Was für einen Sinn hat es?« fragte er, diesmal etwas ruhiger. »Wenn er leugnet – und etwas anderes bleibt ihm wohl kaum übrig –, hast du nichts gewonnen.«
Philipp stellte die Trinkschale ab, wischte sich den Mund und seufzte zufrieden.
»Ptolemaios glaubt, daß ich inzwischen schon tot bin.«
Mit einer gewissen Sehnsucht sah er zum Lager seines Bruders
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