Der Makedonier
Seine dunklen Vorahnungen hatte er vollkommen vergessen. Er war glücklich und im Einklang mit sich selbst, nur der Augenblick zählte. Daß etwas nicht stimmte, merkte er erst, als die Trommeln verstummten.
Aber die Stille war wie kaltes Wasser, sie weckte ihn schlagartig auf. Plötzlich lag Alexandros am Boden, die Hand in die Seite gepreßt, und dunkles Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Über ihm stand Praxis, ein blutiges Schwert in der Hand, und blickte triumphierend in die Runde der Männer, die zu bestürzt waren, um sich zu rühren.
Und dann hob er, wie um ihnen ihr verständnisloses Entsetzen zu nehmen, das Schwert über den Kopf.
»Tod dem Tyrannen«, rief er mit einer Bewegung, als wollte er noch einmal zuschlagen. »Ruhm und Ehre dem…«
Philipp sprang auf, rasend vor Zorn. Er würde diesenVerräter töten, wenn nötig mit seinen bloßen Händen. Doch er hatte noch kaum einen Schritt gemacht, als Praxis’ Stimme plötzlich erstarb, unterging in einem Todesröcheln – ein Speer hatte seine Brust durchbohrt. Er war tot, bevor seine Knie die nackte Erde berührten.
Praxis war tot. Er war nicht mehr wichtig. Und Alexandros starb, das spürte Philipp, als er sich neben ihn kniete und den Kopf des Königs in seine Arme nahm.
»Mir ist kalt«, flüsterte Alexandros mit ausgetrockneten Lippen. »Mir ist kalt, Philipp.«
Philipp legte ihm seinen Umhang um die Schultern.
»Ist das der Tod? Ist das…«
Sein Blick wurde starr, und er war tot.
Einen Augenblick lang glaubte Philipp, das Herz sei ihm zu Eis erstarrt, denn er schien überhaupt nichts zu fühlen. Doch dann, als er seine Hand von Alexandros’ Leiche hob und sah, daß seine Finger blutig waren, in diesem Augenblick schien sich der ganze Schmerz dieser dunklen Welt in seiner Brust zusammenzuziehen, und ein gellender, tierischer Schmerzensschrei brach aus ihm heraus.
Er stand taumelnd auf und sah sich um. Kaum einen Schritt entfernt lag Praxis, die Hände noch immer um den Speer geklammert, der ihm das Leben aus der Brust gerissen hatte. Philipp bückte sich und hob das Schwert auf, das noch feucht war vom Blut des Königs.
»Wer hat ihn getötet?« fragte er. Tränen liefen ihm die Wangen hinab. Und als niemand antwortete, schrie er die Worte heraus wie eine Kampfansage: » WER HAT IHN GETÖTET ?«
»Ich habe ihn getötet.«
Aus dem Knäuel der Zuschauer trat Prinz Ptolemaios. Seine Augen wurden zu Schlitzen, als er den Ausdruck auf Philipps Gesicht sah.
»Es hat ausgesehen, als wollte er noch einmal zuschlagen. Ich wollte… Ist der König tot?«
»Ja«, antwortete Philipp und wog Praxis’ Schwert in der Hand. Er spürte, daß er gegen die Versuchung ankämpfen mußte, es diesem Mann in den Leib zu rennen. War das nur so, weil Ptolemaios zufällig am nächsten stand? »Sie sind beide tot. Sie sind beide für uns unerreichbar.«
13
DIE ASCHE DES Königs in der Begräbnisurne war noch warm, als die Makedonier sich feierlich versammelten, um einen Nachfolger zu wählen. Es gab zwar nur einen Bewerber, wegen Perdikkas’ Jugend und Unerfahrenheit schien es aber angebracht, einen Regenten zu ernennen. Und auch dafür gab es nur einen Bewerber. In den nächsten Jahren würde Prinz Ptolemaios die Macht in Händen halten.
Nach der Versammlung entdeckte man, daß Arrhidaios und seine Brüder, die Söhne von König Amyntas’ erster Frau, aus der Stadt verschwunden waren. Das war sicher ein weiser Entschluß gewesen, denn Ptolemaios hätte sie bestimmt als mögliche Rivalen betrachtet und einen Vorwand gefunden, um sie hinrichten zu lassen, aber ihre Flucht gab Anlaß zu Gerüchten, daß sie möglicherweise etwas mit dem Königsmord zu tun gehabt hatten.
Der Verdacht, daß der Verrat womöglich noch weitere Kreise zog, kam gar nicht erst auf. Praxis war tot, seine Leiche war öffentlich gekreuzigt und dann den Krähen überlassen worden. Jeder wußte, daß er einen Groll gehegt hatte, seit Alexandros ihn verstoßen hatte, und das schien alles zu erklären.
Vor allem Ptolemaios war über jeden Verdacht erhaben. Hatte er nicht vergeblich versucht, das Leben des Königs zu retten, und eigenhändig den Verräter getötet?
Hatte nicht die Versammlung der Makedonier ihn zum Regenten für den neuen König bestimmt, und war er nicht jetzt so bedeutend, als würde er selbst die Krone tragen? Auch nachdem Ptolemaios seine Frau verstoßen und deren Mutter, Amyntas’ Witwe, geheiratet hatte, kam niemand auf den Gedanken, ihn
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