Der Makedonier
Alexandros’ Entscheidung ungerecht war, ließ er sich von ihr nicht die Stimmung verderben, sondern hatte viel Spaß und feuerte seine Brüder und Freunde lebhaft an.
Perdikkas kam gerade rechtzeitig zum Abendessen zurück, das im Freien abgehalten wurde wie auf einem Feldzug. Sein Knie war rötlichschwarz verfärbt, und er ging an einem Stock, seine Schmerzen waren also nicht nur vorgetäuscht. Während des Essens saß er neben Philipp, der ihn rücksichtsvoll behandelte und ihn mit genug Wein versorgte, um das Leiden zu lindern.
»Solche Spiele sind Überbleibsel aus einer barbarischen Zeit«, sagte Perdikkas, als er genügend getrunken hatte. »Daß erwachsene Männer herumtollen wie Kinder…«
»Spiele halten den Kampfgeist wach. Außerdem, Bruder, magst du sie nur nicht, weil du in ihnen nicht gut bist. Aber ich stimme dir zu, daß diese Spiele heute kindisch sind.«
Philipp hatte den Wein noch kaum angerührt, aber in letzter Zeit hatte er wenig Lust, etwas anderes als die Wahrheit zu sagen. Das war in seinen Augen eine Entschädigung dafür, daß er der jüngste von drei Brüdern war und daher in der Thronfolge so weit hinten stand.
»Warum? Weil Alexandros und seine Freunde sich aufführen wie grüne Jungs?« Doch Philipp schüttelte nur den Kopf. »Nein. Sie sind kindisch, weil sie eine Niederlage feiern, als wäre sie ein Sieg.«
»Dann hältst du dieses Bündnis mit Theben für etwas Schlechtes?«
»Nein, weil es notwendig ist – und außerdem ist es wohl kaum ein Bündnis, sondern eher eine Kapitulation. Was ich bedaure, ist die Art der Politik, die es notwendig gemacht hat. In dieser Hinsicht hat Ptolemaios recht. Alexandros hat sich in Thessalien wirklich übernommen.«
»Aber Ptolemaios hat nie gesagt…« Philipp lächelte nur, doch in diesem Lächeln lag eine so abgrundtiefe Verachtung, daß Perdikkas nicht einmal mehr wagte, den Satz zu beenden.
»Perdikkas, da es möglich scheint, daß du eines Tages König bist, würdest du gut daran tun, mehr auf das zu hören, was Männer nicht sagen.«
Als Philipp erkannte, daß er seinen Bruder nur quälte, wandte er sich ab und begann, die Fleischbrocken auf seinem Teller mit einem Stück Brot hin und her zu schieben, obwohl es ihn in diesem Augenblick schon beim Anblick von Essen ekelte.
»Ich glaube, ich werde mich heute abend betrinken«, sagte er. »Ich glaube, ich werde diesen lemnischen Roten in mich hineinschütten, bis meine Pisse dieselbe Farbehat, und dann werde ich einen von Alexandros’ Lieblingen vollkotzen, und am Ende wird man mich in mein Bett tragen müssen, wo ich schlafen werde bis morgen abend. Wäre das für einen treuen Makedonier denn nicht die angemessene Art, den jüngsten Sieg unseres ruhmreichen Königs zu feiern?«
»Sei still, Philipp, ein solches Gerede ist gefährlich.«
»Gefährlich? Unsinn!« Philipp packte seinen Bruder am Genick und schüttelte ihn gutmütig. »Wer würde denn einen königlichen Trunkenbold für gefährlich halten? Sieh dich doch nur um, Perdikkas.«
Mit weit ausholender Geste wies er über Alexandros’ Gelage: eine Ansammlung von Tischen und Bänken auf einer Fläche von etwa fünfzehn Schritt im Quadrat, beleuchtet von einer Reihe von Fackeln in eisernen Halterungen. Und wirklich machten die Gefährten des Königs einen solchen Lärm, daß seine zwei jüngeren Brüder Staatsfeindliches hätten schreien können, und niemand hätte es bemerkt. Männer, die vor einem Monat noch in Thessalien eine Armee befehligt hatten, bewarfen sich jetzt gegenseitig mit Trinkschalen und Hammelfleisch.
»Ich freue mich schon auf viele solcher Feiern unter dem neuen König. Ich glaube, ich werde ein erfahrener Tischsoldat werden, das Musterbeispiel eines zeitgemäßen Höflings. Wenn du wirklich glaubst, daß jemand mit so unschuldigen Zielen gefährlich sein kann, dann hast du noch nicht genug getrunken.«
Philipps Blick fiel auf den Prinzen Ptolemaios, der nur wenige Tische vom König entfernt saß, und seine Augen verengten sich.
»Dort drüben ist Gefahr; du mußt nur Augen haben, sie zu sehen«, sagte er und zog Perdikkas zu sich, um ihm die Warnung ins Ohr zu flüstern. »Schau ihn dir an, Bruder. Ich beobachte ihn schon seit einer halben Stunde, und er hat sich noch kein einziges Mal Wein nachgegossen. Ein Mann, der bei einer solchen Festlichkeit nüchtern bleibt, ist ein Mann, den man fürchten muß. Der Prinz Ptolemaios ist so berauscht vom Ehrgeiz, daß er es nicht wagt, sich gehenzulassen.
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