Der Makedonier
Er ist wie eine Schlange, die sich zusammengerollt hat, um jeden Augenblick zuzuschlagen.«
Tatsächlich hatte Ptolemaios seinen Speer in Reichweite, er steckte neben ihm mit der Spitze im Boden. Eine dunkle Vorahnung beschlich Philipp bei diesem Anblick, doch wie immer nach solchen Spielen lagen überall nachlässig Waffen verstreut. Er wischte deshalb diese kurz aufkeimende Angst beiseite, beinahe so, als schämte er sich ihrer.
»Wie ich sehe, bist du wirklich schon betrunken«, höhnte Perdikkas.
»Nein, Bruder, wenn ich betrunken wäre, würde ich unseren Vetter Ptolemaios für den besten Mann der Welt halten. Ich mißtraue ihm nur, wenn mein Kopf klar ist.«
Doch Perdikkas schien das nicht mehr gehört zu haben, denn er lachte plötzlich auf und sah zum Tisch des Königs hinüber, wo Aristomachos, Alexandros’ gegenwärtiger Liebling, aufgestanden war, um die Gesellschaft mit einem obszönen Lied über einen Esel und die Tochter eines Schankwirts zu unterhalten. Für zusätzliche Erheiterung sorgte die Tatsache, daß Aristomachos so betrunken war, daß er immer wieder wichtige Zeilen vergaß und dann rot anlief und wütend wurde, während die Zuhörer sie ihm zuschrien. Schließlich wurde er so aufgebracht, daß er die Tischkante losließ, an der er sich bis dahin festgehalten hatte, und prompt gaben seine Beine unter ihm nach. Er beendete das Lied nicht, aber das machte auch nichts, da alle es bereits kannten. Während des ganzen Festmahls hörte man immer wieder Männer Zeilen des Gassenhauers singen.
Kreon von Europos kletterte auf die Schultern von Parmenos, dem Sohn des Archos von Tyrissa, und stacheltedie anderen zum Kräftemessen auf. Einige Männer nahmen die Herausforderung an, und man bewarf sich mit in Wein getauchten Brotstückchen. Bald kam es zu einer allgemeinen Balgerei, und da jeder Treffer einen roten Fleck auf Gesicht oder Brust hinterließ, sahen nach einer Weile alle aus, als bluteten sie aus einem Dutzend tödlicher Wunden. Friede kehrte erst wieder ein, nachdem den Streitenden das Brot ausgegangen war, denn als die Knechte Nachschub brachten, hatte man bereits die Lust an dem Kampf verloren.
Philipp, der an dieser Unterhaltung nicht teilgenommen hatte, war zu der Zeit schon so betrunken, daß er, die Arme auf dem Tisch verschränkt und den Kopf daraufgelegt, friedlich schlief. Er wachte erst wieder auf, als das Fest vorüber war und ihm seine Bank unter dem Hintern weggezogen wurde, um als Brennholz für das Freudenfeuer zu dienen, das immer die Vergnügungen des Königs im Freien beendete. Mit schmerzendem Kopf und einem Geschmack auf der Zunge, als wäre etwas in seinen Mund gekrochen und dort verendet, sah Philipp zu, wie das Feuer langsam an dem Stapel grob zusammengezimmerter Möbel emporleckte.
Sobald die Flammen die Höhe eines Mannes erreicht hatten, begann der Kriegstanz.
Der Kriegstanz wurde nicht aufgeführt, um einen großen Sieg der makedonischen Waffen zu verkünden, sondern zur Feier des Krieges selbst. Es war ein Akt der Anbetung, eine rituelle Verbeugung vor den Göttern und deren Liebe zu Mut und Grausamkeit. Und nur diejenigen, die an der Seite ihres Königs gekämpft und somit die Todesangst am eigenen Leib gespürt hatten, durften teilnehmen. Deshalb fand sich Philipp auch diesmal wieder unter den Zuschauern.
Es war, nach alter Tradition, eine wilde, ekstatische Zeremonie, aufgeführt zur rasenden Musik von Trommeln und Becken und unter Schreien, die durch die Nachtschnitten wie ein Messer durch Leinwand. Wenn die Männer betrunken genug waren, sprangen sie manchmal durch die Flammen und kamen dann auf der anderen Seite rußgeschwärzt und mit brennenden Haaren wieder heraus – zumindest wenn sie herauskamen, denn manchmal taten sie es nicht.
Und immer war es der König, der den Tanz eröffnete. Mit ausgestreckten Armen und zurückgeworfenem Kopf langsam das Feuer umkreisend, suchte er die ekstatische Selbstvergessenheit, die die Angst vor dem Tod vertreibt. Alexandros, den nackten Körper glänzend vom Öl, die langen, honigfarbenen Haare wie goldene Flammen um seinen Kopf, Alexandros, der König von Makedonien, war herrlich in seiner gottgleichen Schönheit, als er so allein zur geheimnisvollen, pulsierenden Musik tanzte. In dieser Verzückung schien er seine Sterblichkeit abzulegen.
Philipp saß neben Perdikkas auf der Erde, und beide klatschten sie im irrwitzigen Rhythmus der Tänzer, die heulten und schrien und sich entfesselt hin und her warfen.
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