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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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Tugenden eines Kriegers die einzigen, die zählten. Außerdemhörte er gern ihren Geschichten zu. Und jeder Soldat genießt es, ein Publikum zu haben.
    »… also Jason, für den war es wirklich wert, zu arbeiten«, bemerkte Theseus, ein kräftig gebauter Aitoler mit einem Gesicht wie Leder, der seit seinem fünfzehnten Lebensjahr »dem Speer folgte«, wie es hieß. Er ließ sich eben über sein Lieblingsthema aus: die Vorzüge und Fehler der verschiedenen Feldherren, unter denen zu dienen er die Freude gehabt hatte. »Er hat uns immer rechtzeitig bezahlt. Und in Silber. Auch wenn sein Volk am Verhungern war, seine Soldaten erhielten immer pünktlich ihren Sold. Tyrannen sind die besten Arbeitgeber. Als ich hörte, daß Jason ermordet worden war, habe ich ein Weinopfer für seinen Seelenfrieden dargebracht. Bei den Göttern, diesen Mann habe ich wirklich geliebt.«
    »Ich war doch dabei. Du warst so besoffen von diesem furchtbaren Thasier, der schmeckt wie Pisse, daß du auf dem Weg nach draußen zum Kotzen einen Krug umgestoßen hast. Wir alle fanden, daß das eine rührende Geste war.«
    Jeder lachte, auch Gobryas, der die Geschichte erzählt hatte und Theseus’ bester Freund war, sogar Theseus selbst.
    »Theseus ist ziemlich engstirnig«, fuhr Gobryas fort. »Er läßt bei einem Feldherrn nur eine einzige Tugend gelten, nämlich den Besitz einer gefüllten Schatztruhe.«
    »Es gibt auch keine andere.« Theseus schlug zur Bekräftigung so fest mit der flachen Hand auf den Tisch, daß die Trinkschalen hüpften.
    »Und was ist mit Unentschlossenheit?«
    Gobryas lächelte, als Theseus widerstrebend nickte. Im Gegensatz zu seinem Freund war er dünn und knochig, mit Augen, die sich in der unergründlichen Tiefe ihrer Höhlen zu verlieren schienen.
    »Ja«, gab Theseus zu, wie jemand, der eben an etwaserinnert wurde, »es spricht sehr viel für die Unentschlossenheit. Ein Feldherr, der weiß, was er will, verliert oder gewinnt meistens sehr schnell, und wir haben dann keine Arbeit mehr. Am liebsten ist mir ein Krieg, der sich in die Länge zieht, einer mit vielen Waffenstillständen, damit man seinen Sold auch ausgeben kann. Beim Arsch der Aphrodite, stell dir mal vor, ich würde mit praller Börse in der Schlacht fallen, das wär’ doch eine verdammte Verschwendung!«
    »Athener Politiker sind die besten Heerführer. Sie reden lieber, als zu kämpfen, und sie wissen meistens nicht,was sie wollen.«
    »Aber man muß schon ein Trottel sein, um für die Athener zu arbeiten. In zwei von drei Fällen passiert es, daß dieser Rülpsverein, den sie Versammlung nennen, die Mittel für den Krieg sperrt, und dann kannst du deinen Sold in den Wind schreiben. Demokratie! PfuiTeufel.«
    Zustimmendes Gemurmel erhob sich in dem winzigen Raum, in dem es beinahe so heiß war wie draußen auf der Straße, aber sehr viel enger. Philipp, der noch einigermaßen nüchtern war, musterte die Gesichter der Männer mit der gleichen kalten und unbarmherzigen Gelassenheit, mit der sein Freund Aristoteles Frösche aufgeschlitzt hatte, um ihre Eingeweide zu vermessen. Hier lernte er viel über die Gedanken und Beweggründe einfacher Soldaten, und er hatte erkannt, wie wichtig es für einen Feldherrn ist, auch diese in Betracht zu ziehen. Vielleicht wäre Alexandros noch am Leben, wenn er das ebenfalls erkannt hätte. Oder vielleicht auch nicht, denn die Beweggründe eines Söldners hatten zumindest den Vorteil der Einfachheit.
    »Wie ist denn die Athener Armee?« fragte er, als das Thema abgeschlossen schien und alle in behaglicher Betrunkenheit zu versinken drohten.
    »Wie sie ist?« Gobryas starrte ihn finster an, als wäredie Frage eine Beleidigung. »Auf jeden Fall ist sie keine Armee.«
    »Weißt du, wie sie ist?« warf Theseus dazwischen. »Wie die Liebesabwehr einer alten Jungfrau – halbherzig und unnötig.«
    Der Witz war so gut, daß Theseus selbst darüber lachen mußte, und er lachte länger als alle anderen. Danach mußte er sich die Tränen aus den Augen wischen.
    »Aber wie hat Athen dann überlebt, da es doch dauernd gegen jemand Krieg zu führen scheint? Warum haben die anderen Staaten es nicht schon längst überrannt?«
    Die beiden Soldaten sahen sich an und wandten sich dann gleichzeitig Philipp zu, der sich schon fragte, ob er vielleicht bei ihnen einen wunden Punkt getroffen hatte.
    »Athen braucht eigentlich keine Armee«, erklärte Theseus schließlich in einem Tonfall, der schon fast an Entrüstung grenzte. »Es hat

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