Der Maler Gottes
gute Zureden. Manchmal scheint es Matthias gar, als wäre sie bar jeder Vernunft. Nun hat er noch eine Sorge mehr. Am liebsten würde er sein Bündel packen und fortgehen, weit fortgehen. Doch wohin?
Da endlich fällt ein Lichtblick in das Leben des Matthias aus Grünberg. 1519 erhält er vom Komtur der Deutschherren, Walter von Cronberg, den Auftrag zu einer neuen Altartafel, der Stuppacher Madonna. Sofort macht er sich an die Arbeit. Doch er malt, weil er malen muss, nicht mehr, weil er es so möchte, weil er gar nicht anders kann als malen. Jeglicher innerer Antrieb ist erloschen, und je drängender die äußeren Umstände ihn zwingen, Farben zu mischen und auf die Leinwand zu bringen, umso schwerer fällt ihm die Arbeit. Dass seine Bilder trotzdem Meisterwerke werden, ist wohl nur der Tatsache zu verdanken, dass Matthias sein Handwerk beherrscht wie kaum ein anderer.
Doch auch um Anna muss er sich sorgen. Ihr Zustand hat sich weiter verschlechtert. Nur unter großen Mühen gelingt es ihm, eine Pflegerin zu finden, die sich für wenig Geld und viele gute Worte um seine Frau kümmert. Matthias verlässt im Frühjahr 1520 nach einem langen, harten Winter trotzdem seine Frau, um im Mainzer Dom drei Altäre zu malen, die von Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz, in Auftrag gegeben worden sind. Zur selben Zeit malt Jörg Ratgeb das Wandgemälde im Kapitelsaal des Mainzer Domes. Beinahe täglich sehen sich die Freunde, bereden auch hier die Ereignisse der Zeit. Ratgeb drängt Matthias, sich dem Neuen zu öffnen, doch Matthias hat keine Kraft für Neues. Immer öfter findet er das Leben zu schwer, um es noch länger ertragen zu können. Seit Jahren schon hat er nicht mehr gelacht, sich nicht mehr frei und unbeschwert gefühlt. Es ist, als herrsche in seiner Seele immer währende Nacht. Eine Nacht, die niemals zu Ende geht. Die Zustände im Land, der Aufruhr unter den Bauern ängstigen ihn. Er sehnt sich nach Ruhe und Beständigkeit. Unabhängig möchte er sein, unabhängig von den Zeiten, unabhängig auch finanziell, unabhängig besonders von Anna und den Frankfurter Verpflichtungen. Doch es fehlt ihm an Energie, etwas an seinem Leben zu ändern. Was auch? Und wie? Und wozu? Der Sinn seines Daseins hat sich in Isenheim erfüllt. Der Rest ist Warten auf den Tod. Gleich anschließend malt er, ebenfalls im Auftrag von Kardinal Albrecht, die Erasmus-Tafeln. Nur kurz weilt er in Frankfurt bei Anna, dann geht er nach Halle, um die Erasmus-Tafeln für die Hallenser Stiftskirche zu malen. Er muss Geld verdienen, doch er nimmt diese Verpflichtung gleichzeitig als Vorwand, von zu Hause zu fliehen. Weg will er von Anna, weg inzwischen auch von Ratgeb, dessen Begeisterung Matthias nur noch schwermütiger werden lässt.
Der Bildersturm beginnt. Überall im Land plündern Bauern die Kirchen und Klöster, verbrennen die Altarbilder und Schnitzfiguren. Matthias erschreckt diese Stürmerei bis ins Mark. Soll ihm, dem Heimatlosen, Weltverlorenen, nun auch noch die Arbeit, die Existenz, die Lebens-, Daseinsberechtigung genommen werden? Soll das Einzige, für das sich sein Leben bisher gelohnt hat, seine Bilder, ein Opfer der Brandleger und Unruhestifter werden? Wenn man seine Bilder vernichtet, vernichtet man ihn, richtet ihn hin, nimmt ihm das Leben, ohne seinen Körper berühren zu müssen.
Besser nicht darüber nachdenken. Besser Augen und Ohren noch fester verschließen. Besser sterben als leben. 1521/22 löst Jörg Ratgeb seine Frankfurter Werkstatt auf. Er geht nach Hause, geht zurück ins Schwäbische. Dort will er sich den Bauern anschließen, will selbst für die neue Zeit kämpfen. Sie treffen sich ein letztes Mal. Ratgeb nimmt den widerstrebenden Freund in die Arme und sagt: »Wir haben uns unterschiedlich entwickelt. Du hast dich zurückgezogen, bist in ein inneres Exil geflüchtet. Ich aber will kämpfen, will in der ersten Reihe stehen, wenn die neue Zeit anbricht.« Matthias antwortet: »Ich habe gekämpft, habe in Isenheim eine große Schlacht geschlagen. Ein Maler war ich, auf der Suche nach Gott. Inzwischen habe ich alles, was ich einst gefunden geglaubt, wieder verloren. Ich bin zu müde zum Kämpfen.«
Am 12. Februar des Jahres 1523 ergeht ein Ratsbeschluss, nach dem Anna »wegen böser Vernunfft« und »bis uff Besserung« ins Spital genommen werden soll. Matthias ist wieder in Frankfurt. Der Ratsbeschluss erleichtert und ängstigt ihn zugleich. Er muss sich nicht mehr um die Frau kümmern, die
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