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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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bist. Nur ein Maler, der das Kreuz selbst getragen hat, kann so malen wie du. Du, Matthias aus Grünberg, hast uns den Heiland vom Himmel zurück auf die Erde gebracht. Du hast auf alles, was man heute gemeinhin Leben nennt, verzichtet, um Jesus den Lebenden zurückzubringen. Du hast geopfert, was du hattest, so wie er sich für uns geopfert hat.«
    Guersi hält erschöpft inne. Die Worte haben ihn angestrengt. Nur mühsam hebt er die Hand, um Matthias zu segnen. Sein letztes Wort, fast nur ein Hauch, lautet: »Danke«.
    Wenige Stunden später schließt Guido Guersi für immer die Augen. Wenige Tage später verlässt Matthias Isenheim und seinen Altar, um nie wieder zurückzukommen. Er wird seinen Altar nie wieder sehen. Seine Aufgabe, mehr noch, sein Leben hat sich hier erfüllt.
16. K APITEL
    Alles, was noch kommt, kann nur Wiederholung sein, hat Matthias in Isenheim gedacht. Er hat sich verausgabt, hat sich erschöpft, alles aus sich herausgeholt. Er kehrt nach Frankfurt zurück, doch was ihn zu Hause erwartet, ist alles andere als erfreulich. Geldnot herrscht im Haus zum Löwenstein in der Kannengießergasse. Es fehlt an jeder Ecke, an jedem Ende. Auch seine Ehe verläuft alles andere als befriedigend. Anna ist ihm fremd, es gibt zwischen ihnen keine Nähe, keine Gemeinsamkeiten. So fremd, so absolut gleichgültig ist ihm die Frau in seinem Haus, dass er manchmal sogar überlegen muss, wie sie heißt.
    Selbst die ehelichen Freuden, die Matthias und wohl auch Anna von Anbeginn an als Pflicht betrachtet haben, sind nichts weiter als ein Akt, der nur betrieben wird, um Kinder zu zeugen, um den Verdacht der Unfruchtbarkeit zu widerlegen. Sobald sich Matthias nachts seiner Frau nähert, fällt Anna in einen Zustand der Duldungsstarre. Den Blick starr zur Decke gerichtet, duldet sie die Handlungen ihres Mannes und dreht sich anschließend mit einem Seufzer der Erleichterung an den äußersten Rand des Bettes. Gespräche gibt es zwischen den Eheleuten weder am Tag noch in der Nacht. Sie gehen einander aus dem Weg, besprechen allein die Notwendigkeiten des Alltages.
    Anna macht Matthias Vorwürfe, weil er sie nicht ernähren kann. Sie will ein Kind, will nicht länger die Schande der Kinderlosigkeit als Strafe Gottes auf sich ziehen! Aber wie soll das gehen? Das Geld, das Matthias nach Hause bringt, reicht nicht einmal zum Nötigsten. Selbst um seinen Lohn für den Isenheimer Altar, der nach dem Tod Guido Guersis noch immer nicht gezahlt wurde, kümmert er sich nicht.
    »Ich habe den Altar nicht für Geld gemalt«, ist alles, was er auf ihre Vorwürfe erwidert. Dann zieht er sich in seine Werkstatt zurück und versinkt immer öfter in Melancholie, zuweilen sogar in leise Todessehnsucht. Ihm ist, als hätte der Isenheimer Altar sämtliche Lebenskraft aus ihm herausgezogen. In Isenheim hat er sich als Werkzeug Gottes gefühlt, als Mensch mit einer wichtigen Aufgabe. Sein Leben hatte dort einen Sinn. Und jetzt? Seine Lebensaufgabe ist erfüllt, es gibt keine Steigerung. Matthias ahnt das nicht nur, er weiß es. Er sitzt in Frankfurt in einer Werkstatt, die er nie wollte, lebt in einem Haus, das er sich nie gewünscht hat, und mit einer Frau, für die er nicht das Geringste empfindet und für die er eine Verantwortung trägt, die er nicht tragen will. Er fühlt sich müde und kraftlos. Der Drang, Bilder zu malen, ist ihm verloren gegangen. Er weiß, dass er niemals wieder einen Altar wie den Isenheimer schaffen wird. Warum also überhaupt noch den Pinsel in die Hand nehmen? Mühsam ist es für ihn, jeden Morgen aufzustehen und einen weiteren Tag in einem Leben, das er so nicht wollte, zu ertragen.
    Um Anna und seinen Pflichten als Ehemann gerecht zu werden, bewirbt sich Matthias schließlich um das städtische Amt des Holzmessers. Vergeblich. Immer wieder wird er gerichtlich aufgefordert, seine Schulden zu bezahlen. Der Bäcker gibt ihm schon lange kein Brot mehr auf Kredit.
    Tag und Nacht dreht sich alles nur ums Geld. Wie soll ein Maler da etwas schaffen? Die Arbeit am Maria-Schnee-Altar, den Heinrich Reizmann bereits 1514 in Auftrag gegeben hat, kann so nicht gelingen. Viel wichtiger als ein neues Bild ist es, jetzt und sofort Geld zu verdienen. Nur wie? Die Welt scheint sich gegen ihn verschworen zu haben.
    Matthias fühlt sich in seinem Haus wie ein Eindringling. Dazu soll er sich um Dinge zu kümmern, die ihm wesensfremd sind, die nichts mit ihm zu tun haben. Heimlich sehnt er sich zurück nach Isenheim. Alles, was er

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