Der Maler Gottes
dort empfunden, als gut und richtig und von Gott gewollt erkannt hat, ist in Frankfurt im Handstreich getötet worden durch die Zumutung, Werkstattbesitzer und Ehemann sein zu müssen. Wenn ich wie Guido Guersi in Isenheim gestorben wäre, denkt er wehmütig und sehnsüchtig, dann wäre ich glücklich gestorben. Hier in Frankfurt bin ich zum Leben verdammt.
Ein weiteres Ereignis stört die Schaffensruhe des Malers, der nun endlich mit der Arbeit am Altar begonnen hat: Am 31. Oktober 1517 schlägt der Mönch Martin Luther 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasses an die Schlosskirche zu Wittenberg. Diese Thesen breiten sich binnen 14 Tagen in ganz Deutschland aus. Jörg Ratgeb ist begeistert. Am liebsten würde er nach Wittenberg gehen, um den bewunderten Dr. Martin Luther selbst in Augenschein nehmen zu können. Doch der Auftrag, ein Wandgemälde im Karmeliterkloster zu malen, hält ihn in Frankfurt. Nächtelang kann Ratgeb enthusiastische Reden halten: »Die Pfaffen, die verfluchten Säcke, predigen von den Kirchenkanzeln den Menschen zur Bedeutungslosigkeit herab, zu einer Bedeutungslosigkeit, die er selbst nur mit Ablassbriefen aufheben kann. Doch das wird sich jetzt ändern!«
Auffordernd sieht er Matthias an, doch der Freund scheint durch ihn hindurchzusehen. Ratgeb legt ihm die Hand auf die Schulter, will ihn aufrütteln. »Matthias, wenn die Menschen in der Lage waren, Gottes Sohn zu töten, dann sind sie auch in der Lage, Gott selbst zu töten. Und sie tun es, indem sie den Menschen, den Gott nach seinem Bild geschaffen hat, zur Bedeutungslosigkeit verdammen. Aber gemeinsam mit Martin Luther werden wir die Pfaffen das Fürchten lehren.« Matthias antwortet resigniert mit einem Bibelspruch, der ihm mittlerweile zum Wahlspruch geworden ist. »Der Mensch ist nichts als Staub am Weg«, sagt er und meint, was er sagt. »In Isenheim hat meine Seele gefunden, was sie zeitlebens gesucht hat. Ich habe den Himmel gesehen, bin mit meinem Altar zu Gott aufgestiegen, habe zu Füßen des Herrn gekauert und gemalt. Seit ich in dieser Stadt bin, schweigt Gott wieder. Frankfurt ist das Grab meiner Seele. Hier schweigt auch sie, hüllt sich ein vor der Kälte meines Zuhauses, versteckt sich vor dem Sturm, der durch die Lande zieht und von dem du, Ratgeb, so ergriffen scheinst.«
Darauf weiß auch Ratgeb keine Antwort mehr. Er sieht, dass Matthias sich in sich selbst zurückgezogen hat, nicht erreichbar ist für ihn, den Freund, nicht erreichbar für alles, was um ihn herum geschieht.
»Matthias, du hast dich selbst aufgegeben. Das ist nicht gut«, stellt er traurig fest und weiß nicht, wie er dem Freund helfen kann.
Die Geldnot in der Kannengießergasse nimmt kein Ende.
1518 fordert der Anwalt des Heilig-Geist-Spitals von Matthias für die Jahre 1515 bis 1518 jeweils 1 Gulden und 12 Schillinge als Pachtzins für das Haus in der Kannengießergasse. Matthias hat das Geld nicht, muss sich nun noch mit Anwälten und der Gerichtsbarkeit herumschlagen.
1519 ist der Maria Schnee-Wunder-Altar gemalt und hängt in der Stiftskirche zu Aschaffenburg. Matthias bezahlt mit dem Honorar, 25 Gulden, seine Schulden, kauft für Anna und für sich die notwendigsten Dinge. Ein paar neue Kleider, etwas Geschirr, dann ist das Geld schon wieder aufgebraucht, und Annas Vorwürfe werden schriller. Sie gebärdet sich, als hänge ihr ganzes Glück von ein paar Gulden ab und als sei eben die Geldnot schuld an ihrer Kinderlosigkeit, unter der sie immer mehr leidet. Manchmal scheint sie Matthias regelrecht hysterisch, von einem bösen Geist besessen, so wie sie dasteht, die Haare wirr im Gesicht hängend und mit funkelnden Augen wüste Drohungen ausstoßend.
»Sieben Jahre Ehe und noch immer kein Kind«, keift sie. »Ein Fluch lastet auf uns. Der Fluch des Bösen. Du hast ihn aus Isenheim mitgebracht, Matthias. Gott verdamme dich dafür.«
Matthias schweigt. Was soll er auch antworten? Ihm ist selbst, als stünde sein Leben in Frankfurt unter einem denkbar schlechten Stern. Wie soll er das ändern? Monate später bewirbt sich Matthias, von Anna beinahe mit Gewalt gedrängt, um die Stelle des Bauknechtes und um die Pförtnerstelle der Heilig-Geist-Pforte. Wieder vergeblich. Das Unglück scheint im Hause zum Löwenstein festen Unterschlupf gefunden zu haben. Immer öfter zeigt Anna Anzeichen geistiger Erschöpfung. Es gibt Tage, an denen sie nur heulend wie ein Wolfsjunges im Bett liegen bleibt, nichts isst, nichts trinkt und taub ist für alles
Weitere Kostenlose Bücher