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Der Mann auf dem Balkon

Der Mann auf dem Balkon

Titel: Der Mann auf dem Balkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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zehn.«
    »Soso.«
    »Der Räuber. Er hat eine ältere Frau niedergeschlagen. Kaum fünfzig Meter von hier entfernt.«
    »Hab davon gehört.«
    »Sie hatte gerade ihren Obstladen zugemacht und war auf dem Heimweg. Hatte die ganze Kasse bei sich.«
    »Hm.«
    »Die ganze Kasse! Die Leute sind nicht gescheit.«
    Gunvald Larsson machte abermals eine kurze Pause. Nickte zur Hügelkuppe hin, zu den Büschen und dem roten Holzzaun und sagte: »Sie muß dort gespielt haben.«
    »Vermutlich.«
    »Als wir kamen, hatte es bereits angefangen zu regnen. Und die Zivilstreife vom Neunten ist eine Dreiviertelstunde vor der Tatzeit hiergewesen. Sie haben nichts gesehen. Dabei muß die Kleine schon hier gelegen haben.«
    »Sie haben nach dem Räuber gesucht«, sagte Kollberg.
    »Eben. Und als der hier zuschlug, waren sie bei der Uggleviksquelle. Es war der neunte Überfall.«
    »Wie geht es der Frau?«
    »Sie ist sofort ins Krankenhaus gebracht worden. Schock, Kieferbruch, vier ausgeschlagene Zähne, zertrümmertes Nasenbein. Sie hat nur gesehen, daß es ein Mann war und daß er ein rotes Taschentuch vor dem Gesicht hatte. Eine wirklich ausgezeichnete Beschreibung.«
    Nach einer kurzen Pause setzte Gunvald Larsson hinzu: »Wenn ich einen Spürhund gehabt hätte…«
    »Was?«
    »Dein vortrefflicher Freund Beck sagte letzte Woche, daß ich Spürhunde ausschicken soll. Ein Hund hätte vielleicht…« Er nickte wieder zur Hügelgruppe hin, um zu vermeiden, die schrecklichen Worte noch aussprechen zu müssen.
    Kollberg mochte Larsson nicht sonderlich, aber diesmal verstand er ihn.
    »Ja, das wäre denkbar«, sagte er.
    »Liegt Notzucht vor?« Gunvald Larsson wagte es kaum, diese Frage zu stellen.
    »Vermutlich.«
    »Dann besteht wohl kein Zusammenhang.«
    »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    Rönn kam bis an die Absperrung auf sie zu, und Gunvald Larsson fragte noch einmal: »Handelt es sich um Notzucht?«
    »Ja«, antwortete Rönn, »es sieht jedenfalls so aus.«
    »Dann besteht kein Zusammenhang.«
    »Womit denn?«
    »Mit dem Raubüberfall.«
    »Wie kommt ihr vorwärts?« wollte Kollberg wissen.
    »Schlecht«, entgegnete Rönn. »Alles ist vom Regen verwischt. Sie ist naß wie eine ertränkte Katze.«
    »Verdammt«, sagte Gunvald Larsson. »Verdammt! Zwei Verrückte laufen frei hier in der Gegend herum, der eine schlimmer als der andere.«
    Er drehte sich jäh um und ging zum Auto zurück. Das letzte, was sie ihn sagen hörten, war: »So ein Scheißberuf.«
    Rönn blickte ihm nach. Dann fragte er gedämpft: »Kannst du wohl einen Augenblick mitkommen?«
    Kollberg seufzte tief auf und kletterte über das Absperrseil.
    Martin Beck fuhr erst am Sonnabend nachmittag nach Stockholm zurück, am Sonntag mußte er wieder zum Dienst. Ahlberg brachte ihn zum Bahnhof.
    Beck stieg in Hallsberg um und kaufte am Bahnhofskiosk eine Abendzeitung. Er stopfte sie in die Tasche seines Regenmantels und schlug sie erst auf, als er sich im D-Zug von Göteborg bequem zurechtgesetzt hatte.
    Er warf einen Blick auf die Titelseite und zuckte zusammen. Der Alptraum begann wieder.
    Für ihn einige Stunden später als für die anderen. Aber das war auch der einzige Unterschied.

9
    Es gibt Augenblicke und Situationen, denen man um jeden Preis ausweichen möchte, denen aber niemand entgehen kann. Vermutlich kommen Polizisten häufiger als andere Menschen in solche Situationen. Absolut sicher ist es, daß einige Polizisten öfter mit ihnen konfrontiert werden als andere.
    Eine solche Situation ist zweifellos das Vernehmen einer Frau, die Karin Carlsson heißt und die weniger als vierundzwanzig Stunden zuvor erfahren hat, daß ihre achtjährige Tochter von einem Sexualverbrecher erwürgt worden ist. Eine alleinstehende Frau, die trotz Spritzen und Tabletten den Schock noch nicht überwunden hat. Ihre Apathie zeigt sich darin, daß sie noch immer den gleichen braunen Baumwollrock und dieselben Sandalen anhat, die sie trug, als ein dicker Kriminalbeamter, den sie nie vorher gesehen hatte und dem sie nie wieder begegnen wird, vor noch nicht vierundzwanzig Stunden an ihrer Wohnungstür klingelte. Solche Überlegungen können einem unmittelbar vor Beginn der Unterhaltung durch den Kopf schießen.
    Man ist Kriminalkommissar bei der Reichsmordkommission, und man weiß, daß dieses Gespräch nicht aufzuschieben und noch weniger zu vermeiden ist, weil man außer der Aussage dieser einzigen Zeugin keine verwendbare Spur und keinen anderen Anhalt hat.
    Weil man im voraus weiß, was

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