Der Mann auf dem Balkon
der Obduktionsbefund ergeben wird, wenn er auch jetzt noch nicht vorliegt.
Noch vierundzwanzig Stunden zuvor hatte Martin Beck in einem Ruderboot gesessen und das Netz eingeholt, das er und Ahlberg früh am Morgen ausgelegt hatten. Nun stand er in einem Zimmer im Hauptquartier der Fahndungsabteilung in der Kungsholmsgatan, den rechten Ellbogen auf einen Aktenschrank gestützt. Er war zu bedrückt, um sich hinsetzen zu können.
Man hatte es für angebracht gehalten, die Vernehmung von einer Frau durchführen zu lassen, einer Ersten Kriminalassistentin beim Sittlichkeitsdezernat. Sie war Mitte Vierzig und hieß Sylvia Graberg. In gewisser Weise eine glückliche Wahl: Wie sie der Frau im braunen Rock am Tisch gegenübersaß, wirkte sie ebenso unbeeindruckt wie das Tonbandgerät, das gerade eingeschaltet werden sollte.
Als sie den Apparat vierzig Minuten später wieder ausschaltete, wirkte sie nicht eine Spur verändert, hatte ihre Stimme nicht ein einziges Mal geschwankt. Martin Beck stellte dies erneut fest, als er wenig später gemeinsam mit Kollberg und einigen anderen Kollegen das Band abspielte.
Granberg: Ich weiß, daß es schwer für Sie ist, Frau Carlsson, aber leider müssen wir Ihnen einige Fragen stellen. Zeugin: Ja.
Granberg: Wann sind Sie geboren? Zeugin: Am siebten… neunzehnhu…
Granberg: Wollen Sie bitte versuchen, etwas mehr ins Mikrophon hineinzusprechen. Zeugin: Am 7. April 1937.
Granberg: Familienstand?
Zeugin: Was… ich…
Granberg: Ich meine, ob Sie ledig, verheiratet oder geschieden sind. Zeugin: Geschieden.
Granberg: Seit wann?
Zeugin: Seit sechs Jahren, fast sieben.
Granberg: Und wie heißt Ihr geschiedener Mann? Zeugin: Sigvard Erik Bertil Carlsson.
Granberg: Wo wohnt er?
Zeugin: In Malmö… ich meine, er hat von dort aus geschrieben… glaube ich wenigstens.
Granberg: Das glauben Sie? Wissen Sie es nicht?
Martin Beck: Er ist Seemann. Wir haben ihn noch nicht ermitteln können.
Granberg: Ist der Vater nicht unterhaltspflichtig? Martin Beck: Natürlich. Aber er scheint seit einigen Jahren nichts gezahlt zu haben.
Zeugin: Er… er hat sich nie viel um Eva gekümmert.
Granberg: Und Ihre Tochter hieß Eva Carlsson? Sonst keine Vornamen? Zeugin: Nein.
Granberg: Und sie wurde am 5. Februar 1959 geboren? Zeugin: Ja.
Granberg: Wollen Sie nun so freundlich sein und so genau wie möglich berichten, was am Freitagabend passierte?
Zeugin: Passierte… es ist nichts passiert. Eva… ging nach draußen. Granberg: Wann?
Zeugin: Kurz nach sieben. Wir essen immer um sechs, wenn ich nach Hause komme. Ich arbeite in einer Fabrik, in der Lampenschirme hergestellt werden… und dann hole ich Eva auf dem Heimweg vom Tagesheim ab. Sie geht immer allein hin, wenn die Schule aus ist… und dann kaufen wir auf dem Nachhauseweg zusammen ein…
Granberg: Was hatte sie am Abend gegessen? Zeugin: Fleischklöße… kann ich bitte etwas Wasser bekommen? Granberg: Natürlich. Bitte sehr. Zeugin: Danke.
Fleischklöße mit Kartoffelpüree. Und Eis zum Nachtisch.
Granberg: Und was hat sie getrunken? Zeugin: Milch.
Granberg: Was haben Sie nach dem Essen gemacht?
Zeugin: Wir haben eine Weile ferngesehen… es war ein Kinderprogramm.
Granberg: Und um sieben Uhr oder bald danach ging sie also nach draußen?
Zeugin: Ja, es hatte aufgehört zu regnen. Und im Fernsehen begannen die Nachrichten. Die interessieren sie nicht besonders. Granberg: Ging sie allein nach draußen?
Zeugin: Ja. Sehen Sie, es war ja noch hell, und sie hatte Schulferien. Ich hatte ihr erlaubt, bis acht Uhr draußen zu spielen. War das leichtsinnig von mir? Granberg: Bestimmt nicht. Auf keinen Fall. Und danach haben Sie sie nicht mehr gesehen?
Zeugin: Nein… nicht bis zur… nein, ich kann nicht…
Granberg: Identifizierung. Darüber brauchen wir nicht zu sprechen. Wann fingen Sie an, sich Sorgen zu machen?
Zeugin: Ich weiß nicht. Ich war die ganze Zeit über unruhig. Ich bin immer unruhig, wenn sie nicht zu Hause ist. Sie ist ja noch…
Granberg: Aber wann fingen Sie an, nach ihr zu suchen?
Zeugin: Nicht vor halb neun. Manchmal bummelt sie ein bißchen. Sie bleibt länger bei einer Freundin und vergißt, auf die Uhr zu sehen. Sie wissen ja, wenn Kinder spielen…
Granberg: Ja, ich verstehe. Wann fingen Sie also an zu suchen? , Zeugin: Um Viertel vor neun ungefähr. Ich rief bei den Eltern einer kleinen Spielkameradin an, wo sie oft war. Es meldete sich aber niemand.
Martin Beck: Die Familie ist über das Wochenende in ihr
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