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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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einmal unten an der Treppe stand. »Daddy hat sie fortgeschickt.«
    Ich ging hinunter und wollte an ihm vorbei. Er packte mich am Arm.
    »Du stehst schon auf meiner Liste, hast du das vergessen? Wenn ich in Zukunft mit dir spreche, solltest du mich lieber nicht stehenlassen.«
    Er starrte mich einige Sekunden lang an und bohrte die Finger in meinen Arm.
    »Na los, ab mit dir. Du hast noch viel vor heute.«
    Ich ging hinaus. Die Sonne brannte mir ins Gesicht, während ich überlegte, was ich tun sollte. Ich spulte die ganze Szene noch einmal in meinem Kopf ab, bis zu der Stelle, an der der Mann mit der Zigarette Amelias Namen genannt hatte. Allein der Klang ihres Namens auf seinen schmalen Lippen …
    Ich stieg aufs Motorrad und fuhr nach Detroit.
     
    Momente wie diesen habe ich immer wieder erlebt. Momente, in denen ich aus dem Spiel hätte aussteigen können. Die Karten hinwerfen, es meinem Bewährungshelfer oder sonst wem hätte melden können. Ich frage mich ständig, wie anders mein Leben vielleicht verlaufen wäre, wenn ich so gehandelt hätte. Nur ein einziges Mal.
    Doch ich stieg nicht aus. Nicht an diesem Tag. Ich fuhr wieder dieselbe Strecke zur selben Adresse. Den ganzen Weg über die Grand River Avenue zu diesem Altwarengeschäft an der West Side. Wolken ballten sich in der aufsteigenden Hitze zusammen, und dann prasselte ein paar Minuten lang der Regen herunter. Er hörte genauso schnell auf, wie er angefangen hatte, und das heiße Pflaster dampfte unter mir.
    Diesmal schob ich mein Bike gleich an die Tür. Ich klopfte und wartete. Der Ghost oder Mr. G., oder weiß der Geier, wie ich den Typ nun nennen sollte, spähte heraus. Er hatte denselben Pullunder an und wieder diese Brille an einer Kette um den Hals. Er sagte nichts, schüttelte nur den Kopf und seufzte theatralisch, als wäre ich ihm furchtbar lästig. Dann hielt er mir die Tür auf, damit ich das Motorrad hineinschieben konnte.
    »Du bist wieder da«, bemerkte er. »Welche Freude.«
    Ich stellte die Maschine ab und wartete, was nun kommen würde.
    »Man hat mir gesagt, du wärst vermutlich das Beste, was ich kriegen kann. Gott steh uns bei.«
    Damit drehte er sich um und ging im Halbdunkeln um die Berge von Schrott herum nach hinten. Ich folgte ihm. In den kleineren Raum, wo wieder der Fernseher lief, und durch den schmalen, mit Fahrrädern vollgestellten Gang. Zur Hintertür hinaus in den grünlichen Schatten des Hofs. Die Luft war dort noch stickiger heute durch die feuchte Hitze und den Geruch des Sumachs und des Gift-Efeus nach dem Regen. Der Ghost kam mir irgendwie älter vor. Älter und noch bleicher, geradezu durchscheinend. Seine Haare waren wie dünnes Stroh, und ein gutes Dutzend über den Schädel verstreute Altersflecken schimmerte hindurch. Trotzdem war er auffallend leichtfüßig auf den Beinen, wie ein ehemaliger Leichtathlet oder gar Tänzer. Er ging schnell und sah sich nicht nach mir um. Direkt auf die Tresore zu, in deren Mitte er stehen blieb. Er setzte die Brille auf, und dann erst sah er mich endlich an.
    »Meine Augen werden schlecht«, sagte er. »Das ist das erste Problem.«
    Er streckte seine rechte Hand flach aus. »Und meine Hände fangen an zu zittern. Was nicht gut ist.«
    Von meinem Standpunkt aus sah ich kein Zittern. Die Hand wirkte vollkommen ruhig.
    »Der Mann meiner Tochter hat sie sitzenlassen. Mit zwei Kindern. Sie wohnt unten in Florida, verstehst du, und obwohl ich jeden beschissenen Quadratmeter dieses Staates hasse wie die Pest …«
    Er ging hinter einen der Tresore und brachte einen Bürostuhl auf Rollen zum Vorschein. Der Boden dort innerhalb des Kreises war mit Sperrholzplatten ausgelegt. Er drehte den Stuhl halb herum und setzte sich rittlings darauf, mit der Lehne nach vorn.
    »Was ich damit sagen will, ist … so sieht’s aus. Das ist alles, was du über mich zu wissen brauchst. Alles andere geht dich einen Scheißdreck an, verstanden?«
    Ich nickte knapp.
    »Willst du es heute noch mal mit den Safes probieren, oder hast du wirklich nicht die geringste Ahnung, wie man sie öffnet?«
    Acht Geldschränke standen hier; einer für jede Himmelsrichtung, vielleicht sogar mit dem Kompass abgezirkelt, konnte gut sein, und genau dazwischen jeweils noch einer. In diesem Laden mit so viel Trödel und Schrott war das hier der eine Platz, an dem Ordnung herrschte. Ein vollkommener Kreis, herausgehoben aus dem Chaos.
    »Was kannst du denn überhaupt?«, fragte der Ghost. »Sollen wir damit

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