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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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zum ersten Mal.
    »Sie verraten ja schon alles«, sagte Mr. Marsh. »Ich dachte, Sie wollten hier groß was demonstrieren.«
    »Ich bin da ganz gelassen«, sagte der Schlosser und lächelte mich an. »Wenn er so eins noch nie gepickt hat, wird’s ihm nix nützen zu wissen, was drin ist.«
    Ich öffnete die Mappe und nahm den Haken und einen Spanner heraus. Wenn ich mich jetzt bücke, überlegte ich, wird er dann den Umschlag an meinem Rücken sehen? Vielleicht sollte ich gleich aufgeben, mich einfach geschlagen geben und den Spaten nehmen.
    »Fang an«, sagte Mr. Marsh. »Worauf wartest du?«
    Ich musste zumindest so tun, als ob. Eine Minute am Schloss rumfummeln und darauf achten, dass mein T-Shirt nicht hochrutschte. Dann aufstehen und dem Mann sein Werkzeug zurückgeben. Das war mein spontaner Plan. Also kniete ich mich auf ein Bein, setzte den Spanner an und legte los. Ich brauchte nicht lange, um jeden der sechs Stifte zu ertasten. Mensch, dachte ich, dieses Schloss fühlt sich nicht schwerer an als das vorige. Die Stifte saßen nicht besonders eng. Kein Hoch-tief-hoch-tief, um das Ganze knifflig zu machen. Ich arbeitete von hinten nach vorn, fühlte jeden Stift klemmen. Es war zu einfach. Als ich zum vordersten Stift kam, machte ich mir keine Hoffnung, dass sich der Schließzylinder schon bewegen würde. Wenn das keine einfachen Blockstifte waren, was bestimmt nicht der Fall war, würde jeder zunächst zu falschem Setzen verleiten, so dass ich sie alle noch mal durchgehen musste. Ich hielt die Spannung genau im richtigen Maß, schob den Pick nach hinten und fühlte, wie der hinterste Stift noch einen Bruchteil eines Millimeters nach oben glitt. Dann der davor und so weiter, bis ich wieder beim vordersten Stift angelangt war.
    Okay, und jetzt musst du dir genau überlegen, was du tust, dachte ich. Du solltest den ersten Stift gar nicht setzen. Wirf das Handtuch, schüttel den Kopf und gib dem Schlosser sein Werkzeug zurück. Soll er ruhig denken, er hätte dich mit diesem Schloss kleingekriegt. Soll Mr. Marsh denken, er hätte endlich eine Tür, die du nicht aufbekommst. Sorg dafür, dass du das nicht jeden verdammten Tag machen musst, vor allem wenn du vorhast, vielleicht noch mehr Zeichnungen unter deinem Shirt einzuschmuggeln.
    »Hab ich Ihnen doch gesagt, dass er das nicht aufkriegt«, meinte der Schlosser.
    »Schade«, sagte Mr. Marsh. »Und ich dachte schon, dieser Junge könnte tatsächlich was Beeindruckendes zustande bringen.«
    Ich sah zu den beiden auf. Sah ihr selbstzufriedenes Lächeln. Dann machte ich weiter. Ich drückte den ersten Stift, spürte, dass er saß. Jetzt dreht sich der Zylinder, und ich bin fertig.
    Doch er drehte sich nicht.
    Ich nahm die Picks heraus und fühlte, wie die Stifte in die alte Position zurückfielen, während der Schlosser hinter mir lachte. Ich hob die Hand, um ihn zum Verstummen zu bringen, schob die Picks wieder ins Schlüsselloch und fing von vorn an. Hinterster Stift zuerst. Einen setzen, dann den nächsten. Ich wusste, das war erst die vorgetäuschte Entsperrung, und ich würde jeden Stift noch einmal drücken müssen. So funktioniert ein gutes Schloss. Falsches Setzen, richtiges Setzen, offen.
    Ich kam erneut zum vordersten Stift, fühlte ihn gerade genug nach oben gleiten. Alles richtig jetzt. Jeder Stift sollte auf der Scherlinie sein. Der Zylinder sollte sich drehen.
    Tat er aber nicht. Das Scheißding drehte sich nicht.
    »Tja, man soll einen Jungen keine Männerarbeit machen lassen«, bemerkte der Schlosser. »Hab ich es nicht gesagt?«
    »Das haben Sie«, antwortete Mr. Marsh. »Aber mal ehrlich, es ist ja nicht, als hätten Sie gerade einen weltberühmten Juwelendieb übertölpelt oder so was.«
    »Das vielleicht nicht, aber die Ehre meines Handwerks gerettet – darauf legen wir Wert, an jedem Tag der Woche.«
    »Wie Sie meinen. Dann nehmen Sie mal Ihr Werkzeug, damit der Junge sein Loch weiterbuddeln kann.«
    Ich wollte den Schlosser zurückhalten, damit ich es noch mal probieren konnte, aber er riss mir die Geräte aus der Hand. »Gib’s auf«, sagte er. »Das ist kein Spielzeug. Du kannst es nicht öffnen. Es ist garantiert rotznasensicher.«
    Ich starrte auf die Tür, auf das glänzende neue Sicherungsblech. Ich wollte mich nicht davon trennen.
    »Los, an die Arbeit«, sagte Mr. Marsh zu mir. »Die Spielstunde ist vorbei.«
    Ich ging im Geist alles immer wieder durch, als ich davonschlich. Die Mechanik jedes Teils in diesem Schloss war mir so

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