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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Waffe auf und ließ das Magazin herausgleiten, als beende sie ein Spiel. Gerade kam Keßler wieder zu Bewusstsein, richtete sich leicht auf, blieb auf dem Hintern sitzen, griff sich an den Kiefer, stöhnte. Ängstlich darauf bedacht, meine Unschuld zu sichern, berichtete ich in raschen Sätzen, was vorgefallen war. Verschwieg nicht, dass Keßler jener Polizist war, der den jugendlichen Attentäter zur Strecke gebracht hatte. Was ihm scheinbar nicht gereicht hatte.
    Heinz schüttelte den Kopf, beugte sich zu Keßler hinunter. »Was soll das?«
    Der Polizist schwieg.
    »Gut, rufen wir Ihre Kollegen«, beschloss Heinz.
    »Sie haben doch keine Ahnung«, hielt Keßler ihn mit weinerlicher Stimme zurück.
    Der Boxer wollte wissen, wovon er keine Ahnung hatte. Das wollten wir alle wissen. Also redete Keßler, redete wie einer, der, die Schuld eingestehend, sich aus dieser herauszuwinden versucht. Es sei sein Auftrag gewesen, den Jungen zu erschießen, nachdem dieser den alten Bötsch erledigt hatte, nur dass er eben nicht Bötsch getroffen habe, sondern irgendein armes Schwein.
    »Sie wissen doch sehr gut, wovon ich spreche«, beschwerte sich Keßler und zeigte auf mich.
    »Ich hab keine Ahnung«, log ich halb.
    »Sie haben dem Bötsch aus der Bredouille geholfen. Profimäßig. Ich hab’s gesehen. Bin doch draußen gestanden und hab auf den Burschen gewartet.«
    Ich schwor, dass ich in der Buchhandlung völlig kopflos gewesen war und mir nicht bewusst sei, einen Menschen namens Bötsch gerettet zu haben, sondern nur, einen anderen Menschen nicht gerettet zu haben.
    Keßler glaubte mir nicht. Verständlich, denn wenn ich nicht log, hätte er sich die weitreichende Pleite dieser Nacht sparen können. Selbst wenn Remmelegg Verdacht geschöpft und mich in die Zange genommen hätte, wäre nicht viel mehr herausgekommen, als dass ich ein Verrückter war, der einen anderen Verrückten vor dem Tod bewahrt hatte, ohne ihn eigentlich zu kennen. Der Name Bötsch wäre nie gefallen.
    Keßler wechselte vom Boden auf einen Stuhl. Sein Gesicht sah aus, als hätte er es mit Terpentin gewaschen. Er redete nun in einem fort, wie um nicht in Tränen auszubrechen. Berichtete, dass er vor drei Jahren damit angefangen habe, nebenberuflich für einige dubiose Herrschaften zu arbeiten, für eine Agentur namens »Sans Bornes«, die Polizisten, ehemalige Söldner, aber auch kräftig gebaute Studenten beschäftigte. Wenig Aufregendes: Beschattungen, Leibwache, Geldtransporte, nichts, weswegen man ein schlechtes Gewissen haben musste. Wobei es nicht blieb. Keßler hatte Schulden. Wie alle Menschen. Weshalb sie mehr arbeiten, als gut für sie ist. Und nicht selten Dinge tun, die sie hässlich finden. Nichts würde funktionieren, hätten die Leute keine Schulden. Wir könnten diese Gesellschaft dichtmachen. Denn ein paar Sadisten machen noch keine Gesellschaft.
    Vor etwa einer Woche war »Sans Bornes« mit einem unerfreulichen Auftrag an Keßler herangetreten. Sie sprachen natürlich nicht von »unerfreulich«, sondern von »notwendig«. Keßler solle im Zuge einer legalen Polizeiaktion einen flüchtenden Mörder liquidieren. Die Sache sei bereits arrangiert, auch dass er zum fraglichen Zeitpunkt auf dem Bahnhof patrouillieren würde. Mehr brauche ihn nicht zu interessieren.
    Keßlers Bedenken wurden nicht einmal ignoriert. So ist die Realität. Niemand drohte, dass man seiner Tochter ein Ohr abschneiden oder sein Haus anzünden würde. Das verstand sich von selbst, darüber redeten bessere Kriminelle nicht. Sie selbst bezeichneten ihr Schweigen als »argumentative Praxis«, welche eben das Aussprechen der Argumente nicht erfordere, da diese ja bekannt seien und die schaurigen Details der Phantasie des Einzelnen vorbehalten sein sollten. Man gab Keßler einen Auftrag und überließ es ihm, sich vorzustellen, was geschehen würde, wenn er sich gegen diesen Auftrag entschied (der moderne Arbeitnehmer horcht stets in die Abgründe der eigenen Befürchtungen).
    Die Anordnung hatte gelautet, dass der Junge in jedem Fall aus dem Verkehr zu ziehen sei. Daran hatte Keßler sich gehalten. Doch als er am selben Abend in den Wagen jenes Mannes stieg, der bei »Sans Bornes« sein Vorgesetzter war, wollte dieser wissen, was danebengegangen und wohin Bötsch verschwunden war. Keßler argumentierte, dass er schwerlich das Bürschlein umlegen und gleichzeitig hinter Bötsch hatte herrennen können. Und beging nun den Fehler, davon zu sprechen, dass Bötsch jemanden

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