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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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statt zu schießen. In der Tür stand eine dickleibige Frau im Trainingsanzug, dessen Farben geeignet waren, einen Herrn Simson zu blenden. Die Dame aber kreischte nicht, sondern grinste über das ganze fleischige Gesicht.
    Es ist schon eigenartig, was einem in solchen Augenblicken auffällt, aber ich bemerkte, dass sie keine Schuhe trug, sondern barfuß war. Und sah nun, dass auch Keßler auf die Füße jener Frau schaute, die wohl den Weg von der Psychiatrie hierhergefunden hatte, wie auch immer es ihr gelungen war, ungesehen einzudringen. Ich zwang mich aus der Starre und rannte in die andere Richtung los. Keßler schickte mir eine Kugel hinterher. Ich glaubte den Windzug zu spüren, als das Projektil an meinem Hals vorbeiflog. Nun setzte Keßler sich selbst in Bewegung. Bevor er mich erreichen konnte, stieß ich eine Tür auf, fiel in die Dunkelheit eines Zimmers, warf mich auf den Boden und drehte mich mehrmals zur Seite. Mir war, als würde meine Hand zerbröseln. Dennoch schrie ich nicht, was ja wohl naheliegend gewesen wäre, schließlich war es ein Gebäude voll von Menschen. Aber ich war wie ein Tier, das sich verkroch, und zwar unter ein Krankenbett. Über mir war ein Schnaufen zu vernehmen. Es hörte sich nicht so an, als würde der Patient mir helfen können. Ich hoffte darauf, dass Keßler das nun entstandene Risiko scheute. Doch was er scheute, war das Risiko, das mein Überleben mit sich brachte. In dem Lichtstreifen, der vom Gang her ins Zimmer fiel, sah ich seine Beine. Er schloss die Tür. Ich lag da, keuchte, schwitzte und wartete. Keine Frage, hier kamen Züge des Lebens an, und hier fuhren sie auch ab. Das Licht einer Taschenlampe brach die Dunkelheit auf. Der Schein fuhr mit nervösen Bewegungen durch den Raum, landete neben mir auf dem Boden. Ich rückte zur Seite. Der Lichtkegel kam mir nach, kroch auf meinen Oberarm. Ich spürte, wie Keßler neben dem Bett in die Knie ging und die Waffe vorstreckte. Ich schloss die Augen. Marlinde würde mir das alles nicht verzeihen. Aber das wäre dann allein ihre Sache.
    Das Geräusch war heftiger, als ich es mir von einem gedämpften Schuss erwartet hatte, zupackender. Ich konnte nicht sagen, wo ich getroffen war. Überall, dachte ich. Und nirgends. Das Licht der Nachttischlampe ging an. Über mir war eine rasante, pfeifende Bewegung, als würde ein Zug vorbeijagen. Keßlers Beine flogen nach oben, aus meinem Gesichtsfeld heraus; dann fiel seine Waffe klappernd zu Boden. Dann ein Geräusch wie beim Öffnen eines Marmeladenglases. Ein Körper stürzte vom Bett, schlug klatschend auf. Ich stieß einen Fluch aus, der aber vielmehr einen Ausdruck des Erstaunens darstellte. Ob des Geschehens … und ob des Umstands, dass ich überhaupt sehen konnte, was ich sah. Eben weil ich noch am Leben war. Und wer lebt, der zahlt.
    Jemand fasste mit beiden Händen nach mir, um mich wie einen Sack unter dem Bett hervor und in die Höhe zu ziehen. Ich starrte in eine männliche Gesichtshälfte, die aus dem Halbdunkel herausleuchtete und auch wegen der kraterähnlichen Oberfläche an ein Gestirn erinnerte. Als nun die Deckenbeleuchtung aufflammte, erkannte ich neben dem anderen Teil des Gesichts die dazugehörende schlagbereite Faust eines Mannes, der nicht Keßler war. Zum Glück tauchte hinter dieser Faust nun das Gesicht meiner russischen Gönnerin auf.
    »Heinz, was tust du?«, fragte Frau K.
    »Die wollten mich killen«, erklärte ihr Mann, hielt mich weiterhin am Kragen fest, ließ die Faust aber sinken.
    »Bist du verrückt? Doch nicht Herr Szirba!«
    »Und was ist das?« Heinz zeigte mit seiner nunmehr sinnlos geballten Faust auf die Waffe am Boden, neben welcher der benommene Keßler lag. »Bild ich mir das vielleicht nur ein?«
    Frau K. betrachtete skeptisch die Pistole, als überlege sie, ob Heinz sich bloß herauszureden versuche, und packte schließlich seine Hand, um diese von meinem Kragen zu lösen.
    »Sie müssen sich setzen. Sie tun ja zittern«, sagte sie und wies mir die Bettkante an.
    »Ich glaub das net«, brüllte Heinz und stampfte mit den Füßen auf. Eine dürre Gestalt Ende der fünfzig, ein lebenslänglicher Leichtgewichtler, der jedoch aussah, als hätte er seine härtesten Jahre doppelt gelebt. Immerhin, die Nase saß noch gerade. Und die Schläge, die seine dünnen Arme bei Bedarf austeilen konnten, schienen noch immer eine betäubende Wirkung zu haben.
    »Ihr Mann hat recht«, sagte ich.
    Jetzt betrachtete sie auch mich nachdenklich, hob die

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