Der Mann, der die Frauen belog - Roman
ich mitangesehen, wie zwei seiner Leute abgeknallt wurden.«
Mallory trank mit den Rosens, die in den Coventry Arms wohnten, Tee aus zierlichen Porzellantassen. Alice schenkte aus einer antiken Silberkanne nach.
»Sie sind also Helens Tochter«, sagte Mr. Rosen. »Da schlagen Sie wohl Ihrem Vater nach.« Mrs. Rosen trat ihm auf den Fuß. Demnach hatte er etwas Falsches gesagt, wusste aber nicht, was. Sehr schlimm konnte es nicht gewesen sein, denn gleich darauf lächelte seine Frau schon wieder freundlich.
»Wir haben Helen in dieser Wohnung aufwachsen sehen«, sagte sie. »Nach ihrer Heirat mit Louis Markowitz war sie allerdings nur noch drei- oder viermal hier. Ich bin zu ihrer Beerdigung gegangen. Wie lange ist Helen jetzt schon tot, Alice? Drei oder vier Jahre, nicht?« Mrs. Rosen wandte sich wieder an Mallory. »Ich habe Louis Markowitz kondoliert. Er wirkte sehr …« Sie sah rasch zu Alice hinüber. »Schon gut. Ich rede zu viel.«
»Ist Mallory der Name Ihres Mannes?«, fragte Mr. Rosen, der daraufhin einen zweiten Fußtritt bezog. Seine Frau war offenbar dank Alice besser informiert.
»Ich finde das richtig aufregend«, sagte Hattie Rosen. »Wie Fernsehen. Sollen wir uns falsche Namen zulegen?«
»Gute Idee«, sagte Mallory. »Und ich brauche einen Brief für den Mann am Empfang, aus dem hervorgeht, warum ich vorübergehend Ihre Wohnung übernommen habe.«
»Natürlich«, sagte Mr. Rosen. »Wir sollten auch Arthur Bescheid sagen, das ist der Portier. Ich belüge Arthur nicht gern.«
»Bleiben Sie ruhig bei der Wahrheit, aber machen Sie es nicht unnötig kompliziert. Sagen Sie ihm, dass Sie in einer dringenden persönlichen Angelegenheit verreisen müssen und dass ich eine gute Bekannte bin. Das Lügen besorge ich.«
»Sagte ich schon, dass Ronald schnarcht?«, fragte Mrs. Rosen. »Wir haben getrennte Schlafzimmer.«
»Meine Wohnung hat zwei Schlafzimmer, Flussblick und einen Portierservice rund um die Uhr«, sagte Mallory. »Haben viele Leute in Ihrem Haus einen PC?«
»Jeder hat jetzt einen, sogar wir«, sagte Mrs. Rosen. »Sie haben das ganze Haus an ein Mailbox-System angeschlossen.«
»Für den Computer ist meine Frau zuständig«, sagte Mr. Rosen. »Von solchen Sachen verstehe ich nichts.«
»Was gibt’s da groß zu verstehen? Man muss nur wissen, wie man ihn einschaltet. Ein Knopfdruck, und schon hat man das Schwarze Brett vor sich, kann dem Verwalter oder dem Hausmeister eine Nachricht schicken und mit einer Anzeige jemanden suchen, der den Hund ausführt oder im Urlaub die Wohnung betreut. Sogar seine Bankgeschäfte kann man per Computer erledigen, wenn man eine Online-Verbindung hat. Keine Angst, Kind, es ist nur eine Maschine, die Gebrauchsanweisung liegt dabei, das lernen Sie ganz schnell. Und die Putzfrau kommt einmal in der Woche. Sarah hat einen Schlüssel und ist sehr zuverlässig.«
»Und ich kann morgen einziehen?«
»Ja, aber in zehn Tagen müssen wir wieder zurück sein, da feiert meine Cousine Bitsy Goldene Hochzeit. Hundert Gäste, Kind, das will man sich schließlich nicht entgehen lassen. Hat Ihre Wohnung Kabelfernsehen?«
Nachdem alles, was den Wohnungstausch betraf, besprochen war, die Rosens gegangen waren und sie sich etwas steif von Alice verabschiedet hatte, ging Mallory langsam, alle Einzelheiten registrierend, noch einmal durch die Räume, in denen Helen aufgewachsen war.
Auf dem Flügel mit der Gobelindecke standen an die fünfzig Fotos in verschnörkelten Rahmen. Nur Kinderfotos. Die älteren Aufnahmen, deutlich an der Kleidung zu erkennen, standen weiter hinten, die Neuzugänge ganz vorn. Mallory entdeckte Helen als junges Mädchen. Sie nahm das Foto in die Hand, um es sich genauer anzusehen, wollte es wieder an seinen Platz zurückstellen – und hielt mitten in der Bewegung inne. In einem Rahmen in der mittleren Reihe erkannte sie zwischen vielen unbekannten ihr eigenes Gesicht. Ein Schulfoto, aufgenommen ein volles Jahr nach ihrem Besuch.
Das Bild hatte weder einen herausragenden Platz noch war es versteckt. Es fügte sich ganz selbstverständlich in die lange Reihe der Generationen ein, die diese Familie schon gesehen hatte.
3
22. Dezember
R iker ging die Stufen zur Tierklinik hoch und betrat das hörsaalgroße Wartezimmer. Es roch nach Tierhandlung und Putzmitteln, und in den Sitzreihen bellte und zwitscherte es um die Wette. Manche Herrchen und Frauchen sprachen beruhigend auf schwankende Transportbehälter ein, in denen es maunzte und jaulte,
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