Der Mann, der die Frauen belog - Roman
Schwingungen kann schon mal was herunterfallen. Die Vase stand sehr dicht am Rand.«
Mallory warf Charles hinter dem Rücken der kleinen Familie einen argwöhnischen Blick zu. Um ein Haar wäre eben ein kostbares chinesisches Stück aus dem fünften Jahrhundert zu Bruch gegangen, und Charles saß da, hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und lächelte wie ein Buddha.
»Bleistifte kann die U-Bahn aber nicht zum Fliegen bringen«, wandte sein Besucher ein.
»Da haben Sie recht. Darf ich Sie mit meiner Partnerin Mallory bekanntmachen?«
Sie ging zum Schreibtisch hinüber, wo sie die drei Besucher besser im Blick hatte.
Justin Riccalos blondes Haar war nach hinten gekämmt, die Lippen waren leicht geöffnet, so dass man die beiden vorstehenden Schneidezähne sah. Er war höchstens elf und sah aus wie ein nasses Kaninchen mit Sommersprossen. In der Hemdtasche steckte eine ganze Batterie anspruchsvoller Schreibgeräte. Die Füße zuckten nervös, die stahlblauen Augen schossen unablässig hin und her.
Sally Riccalo, die ängstliche Brünette und Justins Stiefmutter, wirkte empfindlich wie eine Schnecke ohne Haus. Sie saß auf der äußersten Kante ihres Sessels, und die weit geöffneten braunen Augen flehten stumm: Tut mir nichts, bitte, tut mir nichts.
Robert Riccalo, ein Mann mit soldatischem Bürstenschnitt und strammer Haltung, war so groß, dass er Frau und Sohn optisch fast erdrückte. Bei Charles, der noch größer war, kam dieser Eindruck nie auf, im Gegenteil, er vermittelte einem stets das Gefühl, dass er sich am liebsten ständig für seine Größe entschuldigt hätte.
Wenn Justin seine Stiefmutter ansah, machte er einen langen Hals und ein Gesicht, als habe er sich gerade selbst einen guten Witz erzählt. Als ihm ein nervöses Kichern entfuhr, legte ihm der Vater eine schwere Hand auf die schmale Schulter, und der Junge zog den Kopf ein wie eine Schildkröte. Der Ausdruck in den blauen Augen wechselte ständig zwischen Lust und Frust.
Jetzt begegnete er Mallorys Blick, und die beiden Augenpaare begannen eine stumme Unterhaltung. Ich kenne dich, sagte eins zum anderen. Charles beobachtete die beiden scharf. Moment mal … habe ich da was übersehen?
Sie verabredeten ein weiteres Gespräch für den nächsten Tag, der Vater gab das Signal zum Aufbruch, und Frau und Sohn trabten brav hinter ihm her. Mallory wandte sich, die Vase in der Hand, zu Charles um.
»Das mit den U-Bahnzügen –«
»Die Vase ist kein Original, sondern eine billige Kopie. Ich habe sie selbst präpariert. Es war wirklich die U-Bahn.«
Er ging zum Bücherregal und hielt ein Streichholz hoch. »Wenn ich damit nachhelfe, neigt sich die Vasenkante dem natürlichen Zug der Schwerkraft entgegen, und die kleinste Erschütterung bringt sie aus dem Gleichgewicht. Mir ging es um die Reaktion des Jungen.«
»Und?«
»Verständliche Überraschung. Normale Reaktionszeit. Gute Reflexe. Er hat energisch abgestritten, etwas mit dem Bleistift und der Vase zu tun zu haben. Zu dem Persönlichkeitsprofil eines Psychokinetikers passt das allerdings nicht.«
»Und was schließt du daraus?«
»Der Fall wird dadurch noch interessanter. Vielleicht war er es wirklich nicht. Ich habe da gewisse Probleme mit der Logik. Er hat sich nicht dazu bekannt, war aber auch nicht weiter beunruhigt. Als wäre es für ihn etwas Alltägliches, Gegenstände durch die Luft fliegen zu sehen.«
»Sieh zu, dass du den Fall löst, bevor es die Ehefrau Nummer drei erwischt.« Mallory beugte sich über die Leinentasche. Der Kater steckte mit misstrauisch zuckenden Schnurrhaaren den Kopf unter dem Schreibtisch hervor. Lärm und Geschrei waren ihm offenbar unsympathisch. Als alles ruhig blieb, kam er heraus und sah mit schräg gelegtem Kopf zu Charles hoch.
»Hallo!« Charles bückte sich, um ihn zu streicheln, aber Knolle entzog sich seiner Hand und rieb sich an Mallorys Bein. Sie schob ihn weg.
»Der Kater ist ein wichtiger Zeuge. Komm, sag nichts, Rikers dumme Sprüche reichen mir schon. Wenn du lachst, setzt es was.«
»Und das Ohr?«
»Ich war’s nicht. Kannst du ihn über Nacht dabehalten? Ich tausche heute mit den Rosens die Wohnung, da kann ich ihn nicht gebrauchen.«
»Ja, natürlich.«
Mallory holte das Katzenklo und zwei Dosen Thunfisch aus der Tasche. »Er heißt Knolle. Sieh zu, dass er nicht in mein Büro kommt. Computer mögen keine Katzenhaare.«
»Ich nehme ihn mit zu mir.«
»Danke. Wie ist denn das Gespräch sonst so gelaufen? Weißt du
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