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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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wäre durch das Wadi davongerannt, noch ehe er zu Boden fiel. Das wusste er, denn er stand wie erstarrt und wagte kaum zu atmen. Wir saßen beide in der Falle.
    Bisher hatte ich mir bei jeder kniffligen Situation in der Wüste gesagt, dass zu viel Nachdenken Zeitverschwendung sei und bedeuten könne, getroffen zu werden. Du hast keine Zeit zum Denken, du musst handeln – das war mein Mantra fürs Überleben. Mein Instinkt sagte mir, dass es das Beste sei, reglos an Ort und Stelle zu verharren. Ich wartete. Die Sekunden verstrichen, ohne dass der Italiener Alarm schlug. Stattdessen blickte er nach links und rechts und trat dabei langsam vom Rand des Wadis zurück. Dann drehte er sich um und verschwand außer Sicht. Ich ließ mich in den Graben zurückrutschen und kehrte auf dem Weg, den ich gekommen war, schnellstens zum Rest meines Zuges zurück. Ich wusste, dass der Italiener mich gesehen hatte und früher oder später Alarm schlagen würde. Wir setzten uns rasch in die Nacht ab.
    Während dieses Spähtruppeinsatzes machten wir trotzdem vier Gefangene. Ich überwältigte einen von ihnen, und es war ein Kinderspiel. Er spazierte ganz allein durch die Nacht, ohne zu ahnen, wer ihn belauerte. Für einen Italiener war er groß, und trotz der Dunkelheit sah ich, dass er sauber rasiert war und eine graublaue Feldmütze trug. Ich musste ihn überraschen; also schlich ich mich an ihn heran, bis ich in der richtigen Position war, um zuzuschlagen. Ich nahm den Revolver in die linke Hand und sprang ihn von hinten an, riss ihm den rechten Arm auf den Rücken und rammte ihm die Revolvermündung in die Rippen, damit ihm klar war, dass ich eine Waffe hatte. Dann zog ich den Revolver zurück, damit er nicht wusste, wo ich die Waffe hielt. Als ich den Mann zu mir umdrehte, verriet mir die Angst in seinen Augen, dass er die Botschaft verstanden hatte.
    Er wehrte sich nicht, und ich brauchte kein Wort zu sagen. Er wusste, was die Stunde geschlagen hatte, und kam brav mit. Dennoch blieb ich vorsichtig. Sobald ein Gefangener, der seinen Sold wert ist, den ersten Schock überwunden hat und weiß, dass er nicht im nächsten Augenblick sterben wird, sucht er nach Möglichkeiten, den Spieß umzudrehen. Aber ich hatte Glück. Der Italiener war starr vor Schreck und blieb es, bis ich ihn den Wachen übergeben hatte und wir uns endlich schlafen legen konnten.
     

     
    Jedes Spähtruppunternehmen wurde zu einem Kampf ums Überleben. Egal was manche Leute erzählen – die Italiener waren beileibe keine Memmen, und jeder Zusammenstoß mit ihnen lief darauf hinaus, zu töten oder getötet zu werden. Ich gab mir große Mühe, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren. Gelegentlich bekamen wir Post aus der Heimat, wobei die Briefe die gesamte Front entlang reisen mussten, sodass sie eselsohrig und staubig eintrafen. Die meisten von uns stürmten herbei, um sich ihre Briefe zu schnappen; dann rannten sie davon, setzten sich an den Reifen eines Lkw und lasen mit glückseligem Lächeln, während sie an zuhause dachten.
    Ich konnte das nicht. Die Heimat bedeutete Wärme und Zivilisation, aber wo ich jetzt war, ging es alles andere als zivilisiert zu. Ich blickte auf die Briefe von meiner Mutter und legte sie ungelesen beiseite. Wenn man eine Sprache spricht, denkt man in dieser Sprache. Meine Mutter – Gott segne sie – sprach die Sprache der Heimat, und die gehörte nicht in die Wüste. Deshalb las ich ihre Briefe nicht. Es geschah aus reinem Selbstschutz. Die Briefe zu lesen hätte meine Entschlossenheit gemindert und mein Überleben unwahrscheinlicher gemacht. Es mochte dabei nur um Millisekunden gehen, aber Millisekunden reichten aus, um über Tod oder Leben zu entscheiden.
    Ich sonderte mich innerlich noch mehr ab. Auf die eine oder andere Weise taten wir das alle. Nach einiger Zeit trug ich ein dickes Bündel Briefe mit mir herum, die ich erst las, als ich wieder nach Kairo kam.
    Ein bestimmtes Spähtruppunternehmen sollte ich niemals vergessen. Das Schlimme daran ist, dass ich nach siebzig Jahren kaum noch weiß, wo es geschah oder was genau wir vorhatten, aber ich empfinde heute noch das Gleiche wie damals; das Gefühl ist immer noch da. Die Spähtrupps wurden zur Routine. Jeder begann wie der letzte und endete damit, dass wir auf unseren Schlafsäcken zusammenbrachen, kurz bevor das erste Morgenlicht die Sterne vertrieb. Ich weiß noch, dass wir eine italienische Stellung irgendwo am Rand von Tobruk auskundschafteten. Sie gehörte zu

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