Der Mann, der ins KZ einbrach
hockte, von Schmerzen geplagt. In diesem Moment tauchte Endean auf. Er beschuldigte mich der Nachlässigkeit, und ich wurde zur Meldung gebracht. Ich hatte zwar meine Befehle befolgt und die Wachen eingeteilt, aber das half mir nicht viel. Krank oder nicht, Endean hatte mich erwischt.
Die disziplinarische Anhörung fand kurz darauf statt. Ich war so wütend, dass ich mich weigerte, mildernde Umstände geltend zu machen. Ich konnte ja nicht abstreiten, was passiert war. Ich wusste, was tatsächlich vorging und dass es nichts mit diesem aus den Fingern gesogenen Vorwurf zu tun hatte. Ich hatte mich auf meinen Schlafsack gesetzt, weil ich krank und schlapp war. So einfach war das. Ich wollte weder betteln noch bitten, denn ich wusste, sie würden mich fertigmachen. Ich verlor meinen Rang und die Chance auf eine Offizierslaufbahn. Ich nahm es hin, aber selbst nach all den Jahren wurmt es mich noch. Wenn es um Gerechtigkeit geht, gebe ich nicht nach, auch nicht gegenüber einem Offizier. Zugleich war mir klar, dass es in der Wüste kein böses Blut geben durfte. Ich musste mich auf die Jungs neben mir verlassen können, und sie sich auf mich. Deshalb machte ich weiter, aber ich ärgere mich noch heute über diese Sache.
In den darauf folgenden Tagen jagten wir die Italiener aus Ägypten. Sie zogen sich nach Westen zurück, tiefer hinein nach Libyen, in zwei stark befestigte Seehäfen. Der eine war Bardia, gleich nördlich vom Halfaya-Pass. Der andere, hundertzwanzig Kilometer weiter westlich, trug einen Namen, den wir bis dahin kaum gehört hatten: Tobruk.
Mussolini übertrug die Verteidigung Bardias an General Bergonzoli, einen schillernden Charakter, der bei den Italienern wegen seines bemerkenswerten roten Gabelbarts als »Barba Elettrica« bekannt war, als »elektrischer Bart«. Wir waren ein bisschen weniger respektvoll und nannten ihn »Electric Whiskers«, »elektrische Schnurrhaare«, während die Deutschen ihn als »Hochspannungsbiber« bezeichneten. Mussolini befahl ihm, bis zum letzten Mann zu kämpfen, doch er gehorchte nicht.
Bardia liegt in einer kleinen Bucht mit steilen Klippen. Die italienische Garnison hatte sich in einem neunundzwanzig Kilometer weiten Bogen aufgefächert. Sie wurden von der Navy beschossen und zwei Tage lang von der RAF bombardiert. Anschließend, am 3. Januar 1941, begann der Bodenangriff. Wir sollten von hinten hereinschwenken und den Anschein erwecken, als wären wir die Hauptstreitmacht, die aus der entgegengesetzten Richtung kam, und alles und jeden an der Flucht hindern.
Nach dem Angriff auf eine italienische Artilleriestellung entdeckte ich neben der Leiche eines italienischen Soldaten, die mit dem Gesicht nach unten lag, merkwürdige Abdrücke im Sand, wie von Krallen. Offenbar hatte der Italiener im Todeskampf wischende Bewegungen im Sand gemacht, als wollte er etwas vergraben oder verstecken. Tatsächlich sah ich irgendetwas Glänzendes im Sand. War es eine Waffe? Eine Bombe? Ich schaute mich auf der Suche nach weiteren Hinweisen um und trat dann vorsichtig näher. Ich sah, dass es kein Metall war, was da glänzte, sondern auf Hochglanz poliertes Leder, das hell in der Sonne schimmerte. Ich wischte den Sand weg und legte ein schmales Futteral frei, vielleicht anderthalb Meter lang. Darin steckte eine prachtvolle Flagge aus goldener Seide. Der Flaggenstock war mit goldenen Nägeln beschlagen, und ein schmuckvoller Adler saß an seiner Spitze. In seinen letzten Augenblicken auf Erden hatte der italienische Artillerist verhindern wollen, dass die Flagge seinen Feinden in die Hände fiel. Ich ließ sie bei ihm liegen.
Monate später entdeckte ich ein altes Foto vom Papst in Rom in vollem Ornat. Er segnete die goldfarbene Standarte mit dem Adler, die nun irgendwo im Sand der Wüste vergraben lag.
Bardia fiel. Die Garnison ergab sich bis auf den letzten Mann. Es heißt, wir hätten einhunderttausend Gefangene gemacht. »Electric Whiskers« war der letzte Mann, und er entkam.
Als Nächstes rückten wir gegen Tobruk vor, um dort genauso vorzugehen wie bei Bardia. Diesmal bestand unsere Aufgabe darin, ein genaues Bild der italienischen Abwehranlagen außerhalb des Hafens zu beschaffen. Das bedeutete, dass wir ständig Spähtrupps ausschicken mussten, was oft mit Feuergefechten in der Dunkelheit endete.
Zum ersten Mal erlebte ich, wie es ist, tief hinter die feindlichen Linien vorzustoßen. Mitten in der Nacht näherten wir uns einer italienischen Stellung. Wir
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