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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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befanden, war uns klar, dass uns keine Wahl blieb: Unser einziger Ausweg lag weiter vorn. Die Soldaten sämtlicher Armeen, die in der Wüste kämpften, sahen heruntergekommen aus, und im Dunkeln war eine Identifizierung schwer, auch wenn wir braune Wollmützen trugen. Die Italiener trugen alles Mögliche; in einem Stützpunkt, der von uns eingenommen worden war, hatten wir sogar Haarnetze gefunden. In Rom mochten sie die große Mode sein, aber wir kriegen uns darüber nicht ein.
    Wir hatten keine Wahl. Wir erhoben uns und gingen langsam und so gelassen, wie wir konnten, an den Zelten vorbei. Ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, durchquerten wir das Lagerinnere, bis wir auf der anderen Seite wieder ins Dunkel kamen und über den Wall steigen konnten. Es war kaum zu glauben: Im Lager hielten sich wahrscheinlich zweihundert Mann auf, und wir waren mitten durch ihre Reihen hindurchgegangen, ohne erkannt zu werden. Erst in diesem Moment fiel mir auf, dass der Alte die ganze Zeit seine Taschenlampe eingeschaltet hatte, deren Licht ihm aus der Jacke leuchtete.
    So sah unser Tagesablauf aus: In der Nacht Spähtrupp, und danach versuchte man, ein wenig Schlaf zu bekommen, denn mit ziemlicher Sicherheit war man in der kommenden Nacht wieder unterwegs. Die Spähtruppeinsätze verliefen längst nicht alle glatt, und bald hätte es auch mich beinahe erwischt. Ich hatte mir eine kleine Wunde am Unterarm zugezogen, die einfach nicht verheilen wollte. Sie war verbunden, aber der Sand kam überall hin, und die Wunde sah schrecklich aus. Der Ärmel meiner Uniform verbarg den weißen Verbandsstoff. Solange er bedeckt blieb und nicht im Mondlicht leuchtete, konnte ich auf Spähtrupp gehen.
    Eines Nachts wurden wir zu einem italienischen Vorposten geschickt, um Gefangene zu machen. Wenn wir sie zum Reden bringen konnten, erfuhren wir möglicherweise Dinge, die bei unserem Angriff von unschätzbarem Wert sein konnten. Wir waren weit ausgefächert, und ich war praktisch auf mich allein gestellt. In einiger Entfernung hörte ich ein metallisches Klicken, und ich wusste, dass einer der Jungs nervös wurde.
    Ich ließ mich in ein Wadi gleiten, einen ausgetrockneten Flusslauf, der vielleicht zwei Meter tief war, und kroch in seinem Schutz voran. Ich hoffte, bessere Sicht zu bekommen, wenn ich ein Stück weiter kroch. Auf nächtlichen Spähtrupps war Wissen gleichbedeutend mit Macht, und man musste über alles im Bilde sein, ehe man handelte. Nachdem ich in der Rinne ein gutes Stück zurückgelegt hatte, kletterte ich langsam zum Rand hoch. Dabei achtete ich darauf, dass sich keine Felsbrocken lösten. Als ich ein Geräusch hörte, erstarrte ich und drückte mich gegen die Wand des flachen Grabens. Das Geräusch stammte von Stiefeln auf steinigem Boden. Da oben war jemand. Ich hörte, wie er einen Schritt näher an den Rand des Wadis kam, und dann sah ich ihn auch schon: ein italienischer Wachtposten, der in die Dunkelheit des Grabens starrte. Obwohl er mich direkt anblickte, sah er nichts – hoffte ich zumindest. Ich war nur einen Meter unter ihm. Vorsichtig richtete ich den Revolver auf ihn. Ich hatte den Finger am Abzug und konnte ihn auf diese Entfernung nicht verfehlen, aber ein Schuss hätte das ganze Lager geweckt, und dann wären wir in null Komma nichts zu Tomatenpüree verarbeitet worden.
    Was sollte ich tun? Sämtliche Alternativen, die mir durch den Kopf schossen, hätten zur Katastrophe geführt. Ich konnte zu dem Mann hinaufklettern und das Messer benutzen, aber der Italiener würde bestimmt nicht höflich dort stehen bleiben und abwarten, bis ich die Wand hochgeklettert war. Außerdem konnte dort ein ganzer Zug stehen, der eine Zigarettenpause machte. Also hielt ich mich zurück. Ich würde abdrücken, wenn er auch nur einen Mucks von sich gab, aber das konnte einen Schusswechsel auf kürzeste Entfernung bedeuten.
    Noch immer in der Dunkelheit des Wadis verborgen, bewegte ich meinen Arm ein wenig und sah, wie der Italiener erstarrte. Ich wusste sofort, dass ein Stück von dem weißen Verband aus meiner Manschette gerutscht war. »Verdammt«, knurrte ich leise. Sollte ich es darauf ankommen lassen, schießen und abhauen? In der Dunkelheit konnte ich das Gesicht des Mannes zwar nicht sehen, aber wir waren beide in Lebensgefahr, und das wusste er. Sein Gewehr hatte er neben sich. Er würde mindestens eine Sekunde brauchen, um es in Anschlag zu bringen und zu schießen. In dieser Sekunde hätte ich abgedrückt und

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