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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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nicht lange halten würde. Die anderen waren zu schwach, um sich aus dem Wasser zu ziehen. Ich dachte nicht daran, einem von ihnen zu helfen. Jemandem die Hand zu reichen hätte die Gefahr heraufbeschworen, selbst wieder ins Wasser gezogen zu werden. Ich musste an mein wichtiges Ziel denken: Überleben. Ohne das gab es nichts. Ich durfte dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren.
    Die See blieb kabbelig. Lautlos verschwanden die Italiener einer nach dem anderen. Gerade noch waren sie da, dann waren sie verschwunden. So geschah es und nicht anders.
    Als die Sonne im Meer versank, wurden die Wellen kleiner. Es war kein Land in Sicht, und meine Körperwärme verflog. Bald war es dunkel, und ich war allein unter dem weiten Himmel, allein mit dem Licht der Sterne, in einer einsamen Kulisse aus Wellen, Wind und knarrendem Holz.
    Ich hielt mich in der langen kalten Nacht auf der Kiste und hoffte auf Rettung, aber das Meer blieb leer. Mein Bewusstsein kam und ging, während ich auf dem Bauch lag. Als die Sonne aufging, glaubte ich Land zu sehen, eine goldene Stadt auf einem Hügel. Vielleicht habe ich tatsächlich die Sonne auf Steingebäuden gesehen; vielleicht war es eine Halluzination. Die Zeit verstrich, und ich kam wieder kurz zu Bewusstsein. Diesmal war Land in Sicht, und es war so nahe, dass ich es kaum fassen konnte. Die Wellen schlugen auf die Felsen am Rand einer hell gefärbten Landzunge. Dennoch war es ein schwacher Trost, denn selbst diese Entfernung konnte ich nicht schwimmend zurücklegen.
    Als ich wieder ganz zu mir kam, lag ich zwischen zwei Felssäulen eingeklemmt, knapp außerhalb des Wassers. Ich lebte, und die Berührung des festen Steins war mir nach dem Schwanken und Ächzen der Holzplanken auf den Wellen eine Wohltat. Noch immer war ich von Kopf bis Fuß voller Öl.
    Ich konnte den sanften Rhythmus der Wellen hören und war überzeugt, die Erde unter mir hebe und senke sich mit der Dünung. Meine Kehle war ausgedörrt, meine Lippen waren gesprungen und schmeckten nach Salz, Öl und Schmutz. Es dauerte seine Zeit, bis meine Kräfte zurückkehrten und ich versuchen konnte, mich zu bewegen.
    Ich befand mich am Rand einer Höhle voller Geröll. Ich erhob mich auf die Knie und versuchte, mich hinzustellen, aber meine Beine gaben in dem Augenblick nach, in dem ich sie belastete; deshalb blieb ich eine Zeitlang liegen, um Kraft zu schöpfen, sodass ich es noch einmal versuchen konnte. Ich muss ungefähr zwanzig Stunden lang auf der Holzkiste gelegen haben. Erinnern konnte ich mich nur an eine einzige Nacht, aber wegen der häufigen Bewusstlosigkeit konnte ich mir nicht einmal da sicher sein.
    Als ich wieder gehen konnte, entdeckte ich hinter der Höhle eine Landschaft aus Sträuchern und karger Erde, die von Bergen überschattet wurde. Die vereinzelt stehenden Bäume boten mir ein wenig Deckung, aber ich hatte keine Kraft mehr in den Gliedern, und auch meine innere Kraft war fast aufgebraucht. Mich ließ der Gedanke nicht los, dass ich mich entweder ergeben oder verhungern müsste. Meine bloßen Füße waren vom Wasser weich geworden. Die Steine, auf die ich trat, schmerzten.
    Ich taumelte weiter, bis ich auf einen alten Mann traf, der vor einer kleinen Bauernhütte arbeitete. Ich hielt mich gar nicht erst damit auf, mir die Frage zu stellen, ob der Mann mir freundlich gesinnt war oder nicht; ich ging direkt zu ihm und bat mit einer Geste um Wasser. Mir blieb keine andere Wahl. Er hatte mein Kommen nicht bemerkt und fuhr entsetzt zusammen, als er mich sah. Ich war triefnass und ölverschmiert.
    Sein Gesicht war runzlig und wettergegerbt, doch sein Haar war dunkel und kräftig. Er lief nicht weg, hielt aber Abstand und spähte an mir vorbei, um zu sehen, ob ich wirklich allein war. Als er dann sprach, klang es überhaupt nicht italienisch, und das verwunderte mich. Vielleicht waren wir gar nicht in Italien.
    »Englisch, englisch«, sagte ich und kreuzte die Handgelenke, um ihm zu zeigen, dass ich gefesselt gewesen war. Sein Gesicht entspannte sich, aber er behielt mich aufmerksam im Auge und kam nicht näher. Ich zeigte meinen Weg entlang aufs Meer, machte wellenartige Bewegungen und ein Explosionsgeräusch, ahmte ein sinkendes Schiff nach. Der Alte musterte mich still und ausdruckslos; dann schien er zu einer Entscheidung zu gelangen. Er murmelte etwas und winkte mich zur Tür der Hütte. Drinnen war es dunkel, und als wir außer Sicht waren, entspannte er sich noch ein wenig mehr.
    Ich setzte mich, und er

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